Pionier-Post und Mauritius Faible für das Bauhaus - Gerd Claussen ist der Nestor der Briefmarkensammler in Dessau

Dessau/MZ - Geboren am 2. August vor 90 Jahren in Köthen, hat Gerd Claussen dieses kleine Stück Papier, rundum versehen mit winzigen Zacken, bunt bedruckt und schwarz gestempelt, von Kindesbeinen an fasziniert. Mit 18 Jahren kam er 1949 zur organisierten Philatelie, wurde zum systematischen Sammler von Briefmarken.
Als Mitglied im Philatelistenverband im Kulturbund der DDR betätigte er sich schon bald als Exponatsgestalter und Aussteller im Raum Köthen-Wolfen-Bitterfeld und Dessau. Nach Dessau zog er im Jahr 1960 und nahm an der Oberschule in der Ringstraße seine Lehrertätigkeit auf. Mitgebracht in die neue Heimat hatte Gerd Claussen die alte Leidenschaft für die kleinen zackigen Sachen. Im Waggonbau hatten sich gerade sechs Sammler zu einer Betriebsarbeitsgemeinschaft zusammengefunden und im Januar 1958 den Briefmarkenverein Dessau gegründet. Claussen stieg hier unverzüglich mit großem Engagement und viel Sachkenntnis ein.
Seine philatelistischen Lieblingsthemen waren Darstellungen von Tieren, Ländersammlungen und auf den Postwertzeichen festgehaltene regionale Orte und Ereignisse. Neben der Kulturlandschaft rund um Dessau hatte Claussen ein Faible entwickelt für das Bauhaus. Hier hat er über Jahre eine umfangreiche Präsentation zusammengetragen von weltweit herausgegebenen Briefmarken mit Motiven von Bauhaus-Bauten oder -Meistern samt Umschlägen und Sonderstempeln.
Vergleichbar intensiv war seine Verehrung und Sammlerleidenschaft rund um die Schätze des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches. Zwischen 30 und 40 Briefmarken hat die Post schon zu DDR-Zeiten mit Gartenreich-Motiven verziert, in der Neuzeit nach 1990 sind es bisher drei, berichtet Jürgen Ehrlich vom Briefmarkenverein Dessau-Roßlau.
Das jüngste Glanzstück wurde ab 2018 auf Postkarten geklebt. In der Serie „Deutschlands schönste Panoramen“ erschien das „Gartenreich Dessau-Wörlitz“ im Zweierset zu je 0,45 Euro mit Motiven von Kirche, Schloss, See und Synagoge am Wörlitzer Park. In diesem nun mögen sich Briefmarkenfreunde rund um den Globus irgendwie ähneln. Was aber Gerd Claussen zu einem besonderen Rang in der Wertschätzung der Gleichgesinnten verhalf: In seiner Schule in der Ringstraße gründete er 1965 das Dessauer Pionierpostamt. „Es war in der DDR zwar nicht das erste Pionierpostamt, aber das einzige mit regelmäßigem Schalterdienst. Und das über 25 Jahre, Woche für Woche“, blickt Ehrlich stolz zurück.

Der Ruf der jungen Dessauer Postler drang schnell über die Stadtgrenzen hinaus. Sie wurden zu Einsätzen gerufen nach Berlin, zur Russisch-Olympiade am Werbellinsee, Shows in den Friedrichstadtpalast und sogar zu den Weltfestspielen 1973 in der Wuhlheide. Hier wickelten die von Claussen angeleiteten Post-Pioniere mit 45.000 Sendungen den gesamten Postbetrieb ab und stempelten, bis sie an ihren Fingern Hornhaut bekamen. 1990 löste sich nach dem Mauerfall das Kinderpostamt auf. Briefmarkenfreunde versuchten, in Schulen neue Arbeitsgemeinschaften zu gründen.
Als Nestor der Dessauer Briefmarkensammler ist Gerd Claussen jetzt Ehrenmitglied und hat sich aus der Vereinsarbeit Schritt um Schritt zurückgezogen. „Einen Höhepunkt aber hat er mit unserer großen Briefmarkenausstellung 1999 im Rathauscenter noch mitgestaltet und miterlebt: Dort konnten wir mit dem Bordeaux-Brief von 1847 die teuersten Briefmarken der Welt zeigen. Eine rote und eine blaue Mauritius auf einem Briefumschlag“, erinnern sich Jürgen Ehrlich und Bernhard Winkel an die Sensation: Zuletzt kam dieser Brief 1993 für 6,125 Millionen Schweizer Franken (5,218 Millionen Euro) unter den Hammer.