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Ein Vierkantstab mit Griffrolle

Von THOMAS ALTMANN 13.01.2010, 16:49

DESSAU/MZ. - Sie fand Anwendung in einigen frühen Bauten des Architekten, in der Werkbundfabrik Köln oder im Haus Sommerfeld. Eine erste Variante des Klassikers, des Gropius-Drückers, entstand 1922 im privaten Bauatelier des Bauhausdirektors unter Beteiligung von Adolf Meyer. Für das Haus Am Horn, für das Exponat der Bauhausausstellung von 1923 schlechthin, wurde der Entwurf überarbeitet. Nun trifft ein abgewinkelter Vierkantstab auf eine zylindrische Griffrolle. Die Diagonale des Vierkants entspricht noch dem Durchmesser der Rolle. Beinah blaublütig fährt Harald Wetzel mit dem Ringfinger über den Drücker: "Der Weimarer ist elegant. Der Dessauer ist klobiger."

Wetzel, Vorsitzender des Fördervereins Meisterhäuser Dessau, zeigt im Meisterhaus Muche eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Drückers, die er für die Otto Haesler Stiftung in Celle konzipierte. Etwa 1 000 Klinken hat Wetzel inzwischen erstanden. 200 Gropius-Drücker gehören zur Sammlung, die sich auf die Zeit zwischen den Weltkriegen konzentriert. Vor allem die "Frankfurter Normendrücker" von Ferdinand Kramer hielten neben den Klinken von Gropius, Mies van der Rohe und anderen Einzug in die Bauten der Moderne.

Wetzels Leidenschaft entfachte zur Wendezeit. Damals war er als technischer Leiter im Bauhaus Dessau mit der Bestandsaufnahme der Klinken beschäftigt. Mit dem Neubau des Schulgebäudes in Dessau begann der Siegeszug des überarbeiteten Gropius-Drückers. Der Durchmesser der Griffrolle ist nun größer als die Diagonale des Vierkants. Reichlicher, "klobiger" erscheint die neue Variante generell. Hatte man in Weimar noch auf Musterkataloge der Beschlaghersteller zurückgegriffen und Standart-Rosetten verwendet, so entstand in Dessau eine Drückergarnitur mit abgerundetem Kurzschild. Wetzel vermutet die Mitarbeit von Carl Fieger, nicht nur der runden Form wegen. Vor allem sei die sehr selten verwendete Garnitur im Haus Fieger installiert worden.

Den Auftrag für die rund 500 Dessauer Garnituren erhielt die Solinger Metallwarenfabrik Ernst Wagener. Einige Drücker wurden in Eisen gefertigt. Dieses Material, die Menge oder der Preis könnten für die Wahl des Herstellers ausschlaggebend gewesen sein. Bisher hatte Gropius mit der Berliner Bronzegießerei S. A. Loevy gearbeitet, die sich schon 1923 die alleinigen Herstellungsrechte für den Gropius-Drücker sicherte. Als die Firma Wagener 1929 in einem Jubiläumskatalog mit dem "Bauhaus-Drücker" warb, reichte die Firma Loevy Klage ein. Drei Instanzen verhandelten letztlich die Frage Kunst oder nicht Kunst und, davon abhängig, ob die Erfindung eine Diensterfindung gewesen sei, und somit der Dienstherr, das Land Thüringen, Ansprüche anmelden könnte.

"Dem Gropius-Drücker fehlt der ästhetische Überschuss", entschied im Januar 1933 das Reichsgericht in Leipzig. Damit blieb der Drücker ein Gebrauchsgegenstand jenseits der Kunstschutzfähigkeit. Die Frage, ob das Urteil von 1933, das der jüdischen Firma Loevy die alleinigen Herstellungsrechte nahm, ein antisemitisches Urteil war, verneint Wetzel, der die Prozessakten und die Biografien der beteiligten Juristen gesichtet hat. Er betrachtet das Urteil eher als antimodern. Die chronologisch angelegte Ausstellung zeigt nun Variationen des "vogelfreien" Drückers und den Wandel des Materials im Wandel der Zeit. Die letzten Kriegs-Drücker waren aus Leichtmetallen. Erst 1983 legte die Firma Tecnolumen, heute Tecnoline, den Gropius-Drücker wieder auf. Die jüdische Firma Loevy fertigte nach einem Entwurf von Peter Behrens die Inschrift "Dem deutschen Volke" am Reichstag an. Zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin 2003 schrieb Wetzel einen Aufsatz über die Bronzegießerei. Seine Schrift "Auf der Suche nach dem Gropius-Drücker" von 1995 ist vergriffen. Für eine umfassende Publikation zum Gropius-Drücker seien beinah alle Recherchen abgeschlossen. Die Klinken sind geputzt. Man verlässt die Ausstellung eingeklinkt.