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Ein Askanier fehlt noch Ein Askanier fehlt noch: Wo ist das Skelett vom Alten Dessauer?

Von Christian Eger 14.11.2019, 12:00
Mit den Schleifen des Landes, der Stadt, der Familie:  Acht herzogliche Särge in der Marienkirche, zwei Särge stehen im Vorraum der Gruft.
Mit den Schleifen des Landes, der Stadt, der Familie:  Acht herzogliche Särge in der Marienkirche, zwei Särge stehen im Vorraum der Gruft. Thomas Ruttke

Dessau-Rosslau - Nur elf Monate hat es am Ende gedauert. Elf Monate, um einen Notstand zu beheben, der über sechs Jahrzehnte währte - und der sich ohne Einspruch verlängert hätte.

Nachdem die MZ im November vorigen Jahres die in rechtlicher und sittlicher Hinsicht nicht hinnehmbare Situation der anonymen Grabstätte von zehn Mitgliedern des Hauses Anhalt zur öffentlichen Diskussion gebracht hatte, war schnell gehandelt worden. Die 1958 aus dem Herzoglichen Mausoleum auf den städtischen Friedhof von Dessau-Ziebigk verbrachten sterblichen Überreste waren im Frühjahr exhumiert und jetzt in der Gruft unter dem Mittelschiff der Marienkirche in Dessau beigesetzt worden. Am vergangenen Sonntag fand in Gegenwart der Familie von Anhalt, des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und des Dessauer Oberbürgermeisters die Gedenkfeier statt.

Die von Kritikern der Umbettung geäußerte Befürchtung, dass nach 60 Jahren nichts mehr im sandigen Ziebigker Boden zu finden sei, hatte sich nicht bestätigt. Die Skelette seien fast vollständig gewesen, sagt der Rechtsmediziner Hans-Dieter Göring, der die Exhumierung begleitete. Er habe zudem Textilien, Stiefel, Stiefelsporen, sogar ein Gebiss gefunden. Alle Toten konnten identifiziert werden. In acht großen und zwei kleinen Särgen wurden die Überreste von sechs Männern, zwei Frauen und zwei Kindern zur Ruhe getragen, darunter die Regenten Herzog Friedrich I. (1831-1904), Friedrich II. (1856-1918), Eduard (1861-1918) und Prinzregent Aribert (1864-1933).

Woran wir uns erinnern

Von der „Heilung“ einer historischen Wunde war bei der Trauerstunde mit anschließendem Gottesdienst die Rede. Nicht zum ersten Mal. Bereits 2015 erfolgte in der Altargruft die Beisetzung von neun identifizierten Toten und den Überresten von bis zu sieben weiteren Mitgliedern des Hauses Anhalt. Die waren 1968 auf Initiative des Dessauer Pfarrers Alfred Radeloff aus der geplünderten, immer wieder aufgebrochenen Turmgruft der Kirche zunächst in die Berenhorstsche Gruft auf dem Historischen Friedhof gerettet worden.

Ministerpräsident Reiner Haseloff erklärte am Sonntag in der Marienkirche, dass die Askanier über 800 Jahre Mitteldeutschland geprägt hätten, eine Tatsache, die von 1918 an in Vergessenheit geraten sei. „Gut, dass wir uns der dynastischen Geschichte erinnern“, sagte Haseloff, und dass Anhalt nicht umsonst im Namen des Bundeslandes auftauche.

Auch in der Staatskanzlei sollte diese Erinnerung jetzt nicht nachlassen. Denn die „Heilung“ ist nicht abgeschlossen. Noch immer fehlt einer und tatsächlich der prominenteste Askanier. Ein Mann, dessen Gebeine nicht zu denen der Nachkriegsheimkehrer zählen: Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (1676-1747), der Alte Dessauer. Nicht irgendein Fürst, sondern einer der namhaftesten und wichtigsten Regenten des Alten Reiches, preußischer Generalfeldmarschall und Stifter einer bis heute andauernden patriotisch-anhaltischen Folklore.

Dass es lediglich Gerüchte um dessen Verbleib gäbe, hört man immer wieder. Tatsache ist hingegen das: Man wollte es nie genauer wissen. Wir haben es nicht mit einer „Legende“, sondern mit Hinweisen zu tun, denen man nur endlich einmal folgen müsste. Der Dessauer Pfarrer Alfred Radeloff könnte da gehört werden.

Auf dem Handwagen

Radeloff bestätigt der MZ, dass ihm der Dessauer Kreisoberpfarrer Werner Lange (1884-1975) anvertraut hatte, dass dieser die Überreste des Fürsten auf den Friedhof Dessau-Törten verbracht habe. Eine Auskunft, die Lange kurz vor seinem Tod erteilt haben soll. Lange, seit 1930 Pfarrer in Törten, war ein Mann mit vielen Funktionen in der Anhaltischen Landeskirche, im Jahr 1951 auch Pfarrer an St. Marien.

Was Lange mitgeteilt hat, war von Radeloff zuletzt 2015 für die Landeskirche notiert worden: „Der Alte Dessauer wurde 1945 aus der geplünderten Krypta der Marienkirche vom Törtener Pfarrer, später Kreisoberpfarrer Werner Lange im Handwagen vermutlich nach Törten gebracht und auf dem kirchlichen Friedhof oder im Pfarrgarten heimlich bestattet, eine mutige Tat, die Werner Lange damals hätte 25 Jahre Sibirien einbringen können.“

Die Dessauer Schlosskirche St.Marien war früher die Begräbnisstätte der Mitglieder des anhaltischen Herzoghauses. Als der Platz in den Grüften nicht mehr ausreichte, wurde der Bau eines Mausoleums veranlasst. Dieses wurde zwischen 1894 und 1898 errichtet. Insgesamt zehn Mitglieder des Hauses Anhalt fanden dort ihre letzte Ruhe. Im Juni 1958 wurden sie auf den Ziebigker Friedhof umgebettet. Nunmehr ruhen sie in der Marienkirche.

Dabei handelt es sich um folgende Mitglieder des Herzoghauses:

Herzog Leopold Friedrich I. Franz Nicolaus von Anhalt (29.04.1831 - 24.01.1904)

Herzogin Antoinette Charlotte Marie Josephine Karoline, Frieda von Anhalt, geb. Prinzessin von Sachsen-Altenburg (17.04.1855 - 13.10.1908)

Erbprinz Leopold Friedrich Franz Ernst von Anhalt Dessau (18.07. 1855 - 02.02.1886)

Herzog Leopold Friedrich II. Eduard Karl Alexander von Anhalt (19.08.1856 - 21.04.1918)

Herzogin Sophie Marie Luise Amelie Josephine von Anhalt, Prinzessin von Baden (26.07.1865 - 29.11.1939)

Herzog Eduard Georg Wilhelm Maximilian von Anhalt (18.04.1861 - 13.09.1918)

Prinzessin Friederike Margarethe Antoinette Marie Auguste Agnes Therese Elisabeth von Anhalt (11.01.1896 -18.11 1896)

Prinz Leopold Friedrich Moritz Ernst Konstantin Aribert Eduard von Anhalt (10.02.1897 - 26.12. 1898)

Prinz Wolfgang Albrecht Moritz Friedrich Wilhelm Ernst von Anhalt (12.07.1912 - 10.04.1936)

Prinzregent Aribert Joseph Alexander von Anhalt (18.06.1864 - 24.12.1933)

Wahrscheinlich, schreibt Radeloff, „sind auch andere Tote aus der Marienkirche von Werner Lange nach Törten gebracht worden. Unterstützt haben mag ihn Friedrich Lamm. Lamm war Gemeindekirchenratsmitglied in Törten. Er hatte einen Tischlereibetrieb und war Leichenbestatter.“ Das Schweigen vor 1989 war kein Zufall. „Wegen der Diskriminierung des Adels durch die kommunistischen Machthaber musste alles im Verborgenen geschehen. Die Akteure starben noch unter der kommunistischen Diktatur in der DDR. Es gibt deshalb keine Aktenvermerke und Aufzeichnungen und keine Eintragungen in den Kirchenbüchern.“

Drei Möglichkeiten

Es ist an der Zeit, diesen Hinweisen nachzugehen, wofür auch Alfred Radeloff plädiert. Vielleicht gibt es ja noch Personen, die etwas Näheres wissen, sagt der 86-Jährige. Ist ein zum Zeitpunkt der Umbettung bereits 200 Jahre gelagertes, plötzlich in Erdreich gebrachtes Skelett überhaupt noch vorfindbar? Ja, sagt Hans-Dieter Göring. Und er sagt auch: Sollte ein Skelett gefunden werden, könnte man eindeutig feststellen, ob es sich um den gesuchten Fürsten handelt oder nicht. Was wäre also zu tun?

Es gibt drei Möglichkeiten: Erstens, suchen und finden. Zweitens, suchen und nichts finden. Und, drittens, gar nicht erst suchen und sofort eine Gedenktafel am Törtener Friedhof anbringen, die darauf hinweist, dass sich auf diesem ländlich anmutenden Gelände mit einer kleinen Kirche aus dem 17. Jahrhundert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die sterblichen Überreste jenes Fürsten befinden, dessen von Schadow geschaffene Standbilder auf dem Alten Markt in Dessau und in der Wilhelmstraße in Berlin stehen.

Dass die Umbettung der Askanier vom Ziebigker Friedhof in die Marienkirche zuletzt so schnell gelungen ist, war einer von Reiner Haseloff veranlassten Runde zu verdanken, die Land, Stadt, Landeskirche und Haus Anhalt zusammenführte. Es wäre sinnvoll, in der Leopold-Frage noch einmal zusammenzukommen. Vielleicht in Magdeburg, wo der berühmte Fürstenwall vom Alten Dessauer als Festungsweg angelegt worden war. Auch für das Landesamt für Archäologie gibt es bestimmt langweiligere Aufgaben als jene, einmal einen Barockfürsten zu suchen. (mz)

Der Alte Dessauer: Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, 1741 gemalt von Lisiewsky. Das Bild hängt im Schloss Mosigkau.
Der Alte Dessauer: Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, 1741 gemalt von Lisiewsky. Das Bild hängt im Schloss Mosigkau.
frässdorf/ kulturstiftung dessau-wörlitz