Drohung mit Folgen Drohung mit Folgen: Zwangsversteigerung wegen Suizid-Gefahr eine Bitterfelderin gestoppt

Dessau - Ein Haus soll zwangsversteigert werden. Von persönlichen Problemen der Beteiligten abgesehen, ist das juristisch kein besonders kompliziertes Ding, schon gar nicht für Gerichte. Es sei denn, die Eigentümerin legt ein Gutachten vor, das ihr attestiert, im Falle der Räumung suizidgefährdet zu sein.
Dann kann es sehr schnell sehr kompliziert werden, wie jüngst das Landgericht Dessau erfahren musste. Das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hat eine Dessauer Entscheidung auf Eis gelegt und dem Gericht aufgetragen, die Sache neu zu verhandeln.
Der Fall gehört zu denen, über die Dietrich Beyer urteilt, sie ließen Richter oft ratlos zurück. Beyer weiß, wovon er spricht: Er war 26 lange Jahre Richter am Bundesgerichtshof.
Verkauf „werde eine unkontrollierbare psychische Überbelastung verursachen“
Zwangsräumungen von Wohnraum - ob von Mietwohnungen oder eigenen Immobilien - sind ein Sonderfall der Zwangsvollstreckung und in der Zivilprozessordnung geregelt. Damit die überhaupt möglich werden, benötigen Gläubiger einen so genannten vollstreckbaren Titel, den es nur bei Gericht gibt. Nur dann kann der Gerichtsvollzieher überhaupt aktiv werden. Soweit, so einfach.
Dachte wohl auch das Amtsgericht Bitterfeld, als es Ende 2015 die Zwangsversteigerung eines Hauses in ihrem Gebiet anordnete. Die betroffene Frau stand bei einem Gläubiger mit 4.800 Euro in der Kreide, später kamen von anderen Gläubigern noch 19.000 Euro hinzu. Am 26. Februar 2018 erfolgt die Zwangsversteigerung, obwohl die 53-Jährige fünf Tage zuvor Widerspruch eingelegt und Vollstreckungsschutz beantragt hatte. Der Verkauf „werde eine unkontrollierbare psychische Überbelastung verursachen und lebensbeendende Suizidhandlungen sehr wahrscheinlich machen“. Trotzdem wischte das Amtsgericht die Argumente beiseite und billigte drei Wochen später den Verkauf.
Gutachten bekräftige die Gefahr, der Verlust könne die Frau in psychischen Ausnahmezustand versetzen
Die Frau ließ diesen über ihren Anwalt beim Landgericht in Dessau erst einmal stoppen. Und zugleich ordnete das Gericht an, die Hausbesitzerin müsse sich psychiatrisch untersuchen lassen. Das Gutachten bekräftige die Gefahr, der Verlust des Hauses könne die Frau in einen psychischen Ausnahmezustand versetzen, der eine Selbsttötung „sehr wahrscheinlich“ mache. Es empfahl zudem eine Behandlung, sollte die nach sechs Monaten nicht ausreichend anschlagen, auch eine stationäre. Das könne der Frau helfen, den Verlust ihres Grundstücks zu verkraften.
Dergestalt beruhigt, wies das Landgericht am Ende die Beschwerde gegen den Verkauf zurück. Schließlich sei es möglich, die Suizidgefahr zu bannen. Ein Aufschub der Zwangsversteigerung nähre nur die falsche Hoffnung, es werde am Ende zu gar keiner kommen.
Das war der Zeitpunkt, an dem das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet wurde. Dazu muss man wissen: Anders als Oberlandesgerichte oder der Bundesgerichtshof prüft es nicht, ob Gerichte Gesetze juristisch korrekt angewendet haben. Sondern ob deren Entscheidungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Bei einer Zwangsvollstreckung mit drohendem Suizid kollidieren zwei Verfassungsgüter
Im Falle einer Zwangsvollstreckung mit drohendem Suizid kollidieren zwei Verfassungsgüter: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Artikel 2) aus Schuldnersicht und „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet“ (Artikel 14) aus der Perspektive der Gläubiger. Allerdings gibt es Kritiker, die bezweifeln, dass das Verfassungsgericht sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen sollte. Die obersten Richter würden so zu einer „Superrevisionsinstanz“ meint etwa der Frankfurter Jura-Professor Nikolaj Fischer.
Wie auch immer: Karlsruhe hat sich mit dem Dessauer Fall beschäftigt und ist zum Schluss gekommen: So geht es nicht. Aus ihrer Sicht gibt es vor allem zwei Kritikpunkte: Erstens sei nicht klar, warum das Landgericht die Versteigerung nicht ausgesetzt habe, bis die Gläubigerin therapiert sei. Und zweitens habe es keine Vorkehrungen für eine Zwangsunterbringung gegeben, sprich, die Gläubigerin auch gegen ihren Willen einzuweisen. Mit der Folge, dass sich das Landgericht Dessau erneut mit der Sache befassen muss.
Alle, die jetzt vielleicht meinen, mit Selbsttötung drohen zu müssen, um den Problemen zu entkommen – dem ist nicht so. Selbst wenn es ihnen gelingen sollte, Gutachter zu täuschen – es könnte am Ende eine Zwangseinweisung drohen. (mz)