Die Luft zum Atmen fehlt Die Luft zum Atmen fehlt: Sven Meissner aus Dessau ist 40 Jahre alt und unheilbar krank

Dessau - Die Sauerstoffmaske ist immer griffbereit. Auch während des Gesprächs setzt Sven Meissner sie immer wieder auf, ringt um Luft. 16 Stunden am Tag trägt er die Maske. Ohne den Sauerstoff aus der Flasche kann der 40-Jährige nicht mehr atmen. Seine Hoffnung: Eine Lungentransplantation. Doch der Weg dahin ist für den Dessauer steinig.
„Bei Sven zeigt sich die Mukoviszidose in voller Ausprägung“, sagt Daniel Kemp, Vorsitzender des Vereins Mukoviszidose Selbsthilfe. Die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose (auch Cystische Fibrose, kurz: CF) ist nicht heilbar und verläuft tödlich. Doch nicht nur, dass für Sven Meissner durch die Genmutation die Luft zum Atmen immer knapper wird, ärgert Kemp, sondern auch, dass „es Tag für Tag negative Bescheide gibt“ - von der Krankenkasse, vom Krankenhaus.
Weil die einen sich nicht für Hilfsmittel zur Beatmung zuständig fühlen und bei den anderen die Unterlagen für die Transplantationslisten verschwinden, wie er erklärt. „Schon Gesunden fällt es schwer, auf Behördenschreiben zu reagieren, Widersprüche zu schreiben, wenn es eine Ablehnung gibt. Sven ist dazu nicht in der Lage. Er ist überfordert“, stellt Kemp fest. Er unterstützt den Mann deshalb seit wenigen Wochen intensiv. „Die Massivität der Probleme“, gibt er zu, „ist mir aber erst beim Besuch bei Sven aufgefallen.“
Im Jahr 2000 wurde Sven Meissner erwerbsunfähig
Als Sven ein Jahr alt war, erzählt seine Mutter Edeltraud Meissner, wurde die Stoffwechselkrankheit bei ihrem Sohn festgestellt. Das Kind litt ständig an Durchfall und Lungenentzündung, erinnert sie sich. Doch Sven wuchs relativ normal in Roßlau auf: „Wir haben ihn nicht in einen Glaskasten gesetzt“, sagt die Mutter und er selbst: „Ich habe alles gemacht, was man als Kind machen kann.“
Er geht zur Schule, hat zwar eine Sportbefreiung, wird nicht benotet, doch macht den Unterricht mit, fährt Kanu, spielt Handball und mag Ausdauersport. Im Spielmannszug Roßlau ist er, bläst fast sechs Jahre auch Jazztrompete im Blasorchester von Willi Dreibrodt. Später spielt der gelernte Einzelhandelskaufmann und Veranstaltungstechniker Schlagzeug in einer Band. Noch heute sagt er, ist - wenn die Kraft reicht - „Musik meine Therapie“.
„Mir ging es relativ gut“, blickt er auf viele Jahre zurück. Im Jahr 2000 aber wurde er erwerbsunfähig. Doch nicht etwa die tückische Stoffwechselkrankheit führte dazu, sondern ein schwerer Bandscheibenvorfall. Aber auch die Mukoviszidose prägte sich aus. „Seit 2008 bin ich auf Sauerstoff angewiesen“, erzählt Sven Meissner. Doch richtig dramatisch wurde es 2016. Schon mehr als zehn Jahre lebte er da in der Dessauer Albrechtstraße, als nach einem Wasserrohrbruch die Zwischendecke geöffnet wurde und massiver Schimmelbefall zum Vorschein kam. Mit einer akuten Lungenentzündung kam er ins Krankenhaus. Die Lungenfunktion von zuvor 60 Prozent war auf zehn Prozent gefallen.
Ein Intensivpflegeteam kümmert sich jetzt um ihn, aber nur 16 und nicht 24 Stunden am Tag
„Das war’s“, stellt er trocken fest. Die letzten beiden Jahre war er abwechselnd vier Wochen in seinem neuen Zuhause und im Krankenhaus. „Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. Ich brauche meine Kraft zum Atmen.“
Zwölf Kilo hat er abgenommen. Er ist auf Rollstuhl und Rollator angewiesen, kann seit Oktober nicht mehr selber Auto fahren. 150 Meter schafft er höchstens zu laufen. „Alleine kann ich aber nicht aus dem Haus gehen.“ Er braucht Hilfe bei der Körperpflege und im Haushalt. Ein Intensivpflegeteam kümmert sich jetzt um ihn, aber nur 16 und nicht 24 Stunden am Tag, wie Daniel Kemp die Entscheider bei der AOK kritisiert. Und wenn er zu einem Arzt müsse, dann gleiche das einem Umzug, weil Rollstuhl, Notfallkoffer, Beatmungsgerät mitmüssen. „Jede Fahrt ist wie ein Marathon“, beschreibt Sven Meissner die Anstrengung.
Am 25. März soll sich entscheiden, ob er auf die Transplantationsliste kommt
Und immer ist da diese Angst, ob der Sauerstoff auch reicht. Panik kriegt er, wenn Post kommt und die AOK Kostenübernahmen ablehnt, wie vor kurzem für ein Beatmungsgerät, und ihn stattdessen an die Rentenkasse verweist. Wie sich herausstellte, war die Krankenkasse davon ausgegangen, dass Meissner noch als Veranstaltungstechniker arbeitet. Kemp ärgert diese „fehlende Kommunikation zwischen den Institutionen“ und auch, „wenn sich Menschen nicht zuständig fühlen“. Ihn beschleiche in solchen Momenten das Gefühl, „dass das Problem ausgesessen wird, bis es vielleicht nicht mehr existiert“. Deshalb habe er einen Anwalt eingeschaltet.
Doch ist das eine Problem geklärt, tritt ein anderes auf. Erst in der vergangenen Woche habe die AOK die Intensivpflege Zuhause mit sofortiger Wirkung stoppen wollen und abgestritten, „dass ich angeblich nicht mal Sauerstoff und eine Beatmung zu Hause habe und brauche“, ist Meissner über einen Anruf schockiert.
Aber Hoffnung keimt im Fall der Transplantation auf. Nach unzähligen Telefonaten und Gesprächen, ist Kemp erleichtert, „lagen die Unterlagen nun doch vor“. Sven Meissner war zum Check in der Charité. Am 25. März soll sich entscheiden, ob er auf die Transplantationsliste kommt. „Wenn nicht, sehe ich schwarz“, sagt der 40-Jährige. Doch daran will er eigentlich nicht denken. (mz)
Nachtrag 21.03.2019: Die AOK weist die Vorwürfe im Fall von Sven Meissner zurück. „Krankenkassen dürfen nur Leistungen übernehmen, für die ärztliche Verordnungen vorliegen“, sagt Sprecherin Anna-Christina Mahler. Eine Verordnung fehlte. Als diese nun am Dienstag, 19. März, vorlag, „haben wir diese sofort genehmigt, sodass der Pflegedienst nahtlos wieder mit uns abrechnen kann. Sie ist bis Ende Juni 2019 gültig“, so Mahler. Die pflegerische Betreuung einzustellen, habe die Kasse aber nicht angedroht. „Uns liegt es wirklich sehr am Herzen, unsere Versicherten bestmöglich zu versorgen“, so die Sprecherin. „ Wir hoffen, dass es Herrn Meissner so lange wie nur möglich - den Umständen entsprechend- gut geht und er schnell auf die Transplantationsliste kommt und ein passendes Spenderorgan für ihn gefunden wird.“