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Die Gärungschemie Dessau feiert Jubiläum Die Dessauer Fine wird 150 - Die Luft verpestet sie aber schon lange nicht mehr

Auch wenn einstiger Vorzeigebetrieb seinen Glanz verloren hat, ist er noch da. Zwölf Mitarbeiter produzieren ein Tablettensprengmittel und es gibt Pläne.

Von Sylke Kaufhold 31.08.2021, 10:00
Die Gärungschemie lebt.
Die Gärungschemie lebt. Thomas Ruttke

Dessau/MZ - Viele Jahrzehnte blies der Schornstein der „Fine“ eine braune Wolke in den Dessauer Himmel. Das stank und war auch nicht die sauberste Angelegenheit. Aber es war ein wichtiger Teil der Industrie der Stadt.

Die Gärungschemie feiert im September ihr 150-jähriges Bestehen. Am 17. September 1871 wurde der Grundstein für die Dessauer Zuckerraffinerie AG gelegt. Schon bald machte das Werk mit dem besonderen „Strontialverfahren“ von sich reden. Denn die Produktionsanlagen der Fine waren so gebaut, dass mit ihnen die von den Dresdner Forschern Max und Emil Fleischer entwickelte Entzuckerung der sehr reichlich anfallenden Melasse - dem Abfallprodukt der Zuckerproduktion - gelang. Die Dessauer sollten hierfür Vorreiter für viele europäische Länder werden, die Fabriken zur Melasse-Entzuckerung nach dem Dessauer Vorbild und mit Dessauer Hilfe bauten.

Sie führen die Geschicke des Betriebes: Uwe Heuser (li.) und Lutz Brüning.
Sie führen die Geschicke des Betriebes: Uwe Heuser (li.) und Lutz Brüning.
Thomas Ruttke

Mehr als 1000 Dessauer kümmerten sich um die Alkoholproduktion aus Melasse

450.000 Hektoliter Alkohol aus Melasse produzierte die Dessauer Gärungschemie in ihren Hochzeiten. Damit war sie der größte Hersteller im RGW, dem Wirtschaftsverband der sozialistischen Länder. 1.200 Dessauer arbeiteten in dem Betrieb unterhalb der Brauereibrücke, der immer auch ein wichtiger Forschungsstandort war. Dies und die ständige Anpassung der Produktion an die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen des Marktes retteten das Unternehmen das Überleben. „Unternehmerische Initiative, Forscherdrang und Verhandlungsgeschick der jeweiligen Persönlichkeiten haben Auswege aus schier unüberwindlichen Schwierigkeiten erreicht“, formuliert es Uwe Heuser, der heutige Geschäftsführer der Gärungschemie Dessau GmbH.

Das ehemalige Gärhaus ist beräumt und soll   wieder genutzt werden. 20 riesige Gärbehalter standen hier.
Das ehemalige Gärhaus ist beräumt und soll wieder genutzt werden. 20 riesige Gärbehalter standen hier.
fotos: Thomas ruttke

Die ist freilich mit dem Produktionsstandort von einst nicht mehr zu vergleichen. Nur ein Bruchteil des 33.000 Quadratmeter großen Areals wird noch genutzt. Einiges wird oder ist schon abgerissen, wie zum Beispiel die 20 Gärbehälter im Gärhaus. Der Stolz dieses ehemals wichtigen Betriebes der Stadt aber ist noch spürbar, wenn man durch die Hallen und über das Gelände in der heutigen Lutzmannstraße 6 streift. „Uns gibt es noch“, sagt denn auch Lutz Brüning stolz. Der Geschäftsführer der Maschinenbau und Montageleistungen GmbH gehört zu den Unternehmern, die die Gärungschemie nach der politischen Wende gerettet haben. Im Juli 1992 hat ein Konsortium von neun mittelständischen einheimischen Unternehmen die Fine übernommen. „Das war nicht die schlechteste Lösung, denn wir sind noch da und unsere Zeichen stehen auf Zukunft“, so Brüning. Heute sind neben der Brüningschen Firma die Firma Biomel GmbH und Uwe Heuser als Privatperson Miteigentümer der Gärungschemie.

Was die alte Dessauer Fine mit dem Sprudeln von Tabletten zu tun hat

Zwölf Mitarbeiter hat der Traditionsbetrieb heute. Deren Aufgabe ist die Produktion von „Esma-Spreng“, einem Tablettensprengmittel aus Kasein. „Das sorgt dafür, dass sich die Tabletten schnell im Magen auflösen“, erklärt Heuser. 20 bis 25 Tonnen im Jahr werden davon derzeit produziert - und in die ganze Welt exportiert. Wie Lutz Brüning sagt, sollen die Kapazitäten noch ausgebaut werden. Derzeit seien die Auftraggeber allerdings sehr zurückhaltend. „Aber wir kommen durch.“

Alkohol wurde in der Fine im Jahr 2008 das letzte Mal produziert. Die Destillationsanlage, die aus dem Jahr 1988 stammt, sei 1994 noch einmal generalüberholt worden, berichtet Heuser. „Auf diesem Stand ist sie jetzt.“ Das Produktionsvolumen war zuletzt freilich mit dem einstigen nicht vergleichbar, betrug einen Bruchteil. Notgedrungen. Denn im Zuge des Einigungsvertrages war das Produktionskontingent für die Gärungschemie erheblich gesenkt worden. Es durften nur noch 45.000 Hektoliter Alkohol produziert werden. Ausgelegt aber war die Produktion auf das Zehnfache.

Betritt man heute die Destillation mit der 25 Meter hohen Maischekolonne scheint es, als wäre die Anlage gerade erst abgestellt worden. Sogar der Geruch von Melasse liegt noch in der Luft. „Das hier ist das Herz der Alkoholproduktion gewesen“, erklärt Lutz Brüning und ist ein bisschenwehmütig dabei. Dass die Anlage, die voll funktionsfähig ist, noch einmal anlaufen wird, ist unwahrscheinlich. „Der Energie- und Wasserverbrauch ist viel zu hoch.“ Gerne würde Brüning die Anlage in die dritte Welt verkaufen. „Damit sie nicht nur rumsteht.“ Für die dann leere Halle wünscht sich der Unternehmer „neues Leben“. Statik und Zustand seien sehr gut, lobt er das Gebäude, das zur Gründungszeit der Gärungschemie gebaut wurde.

Neues Produktionsfeld soll aufgebaut werden - Damit soll neues Leben in das alte Gärhaus einziehen

Brüning und Heuser haben im 150. Jahr die Zukunft der Gärungschemie fest im Blick. Die Produktion von septischen Desinfektionsmitteln für den medizinischen Bereich will sich das Dessauer Unternehmen aufbauen. Derzeit liefen dazu Gespräche mit der Investitionsbank Sachsen-Anhalt und internationalen Partnern, berichtet Lutz Brüning. Verortet werden kann die Produktion im alten Gärhaus, das jetzt leer sei. Bis zum Jahresende sollen die Vorbereitungen abgeschlossen sein. 2022 soll dann mit den Planungen und dem Bau begonnen werden. 2023/24, so Brüning, sei der Produktionsbeginn vorgesehen. Anfänglich mit 25 bis 30 Mitarbeitern in Labor, Vertrieb, Produktion und Verwaltung.

Die moderne Produktionsanlage  für das Tablettensprengmittel.
Die moderne Produktionsanlage für das Tablettensprengmittel.
Thomas Ruttke