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Dessauer Schauspiell Dessauer Schauspiell: Jan Kersjes geht fort

Von thomas altmann 27.01.2014, 20:06

dessau/MZ - Danach im Foyer: Der falsche Bart ist ab. Verwischter Puder im auftauchenden Gesicht: Ob er sich umdrehen werde? „Ja, auf jeden Fall“, sagt Jan Kersjes, trotz des Tabus, welches Orpheus gerade gebrochen hatte, worauf die Gemahlin zur ewigen Hure wurde.

Nun ist „Schluss mit Lustig!“, der „Boulevard-Doppeldecker“ lief am Sonntag zum letzten Mal im Alten Theater Dessau. „13 Stühle“, inszeniert von David Ortmann, und „Orpheus in der Unterwelt“, inszeniert von Jan Kersjes, sind abgespielt. Auch er, der Clown, Jan Kersjes geht. Generalintendant André Bücker hat Blumen dabei, bedankt sich „für die wunderschönen Momente, die wir gemeinsam erleben durften, für die Freude, die wir mit dir und an dir gehabt haben“.

Hinter allem Kokolores

„Nun tanzen wir Cancan, ein riesen Amüsement“: Noch einmal erklang rächend die Musik des gehörnten Virtuosen Orpheus (Sebastian Müller-Stahl). Noch einmal besang Hans Styx (Patrick Rupar) berauschend und knarzend wie eine Schellackplatte Arkadien. Noch einmal pries Jupiter (Stephan Korves) in stark verhehlter Omnipotenz seinen Fleischwedel und summte für Eurydike. Tina Rottensteiner, bald devot, bald kokett, trug und ertrug noch einmal alle Lust, menschliche und göttliche. Still schön ihr „Der Tod will mir als Freund erscheinen“.

Hatte Jacques Offenbach die Antikenfreudigkeit des Bildungsbürgertums im parodistischen Visier, so schrumpfte Kersjes die Operette, um hinter allem Kokolores doch das Vage, die Einsamkeit in den missglücken Beziehungen heraus zu spielen. „Wenn ein Fehler passiert, eine Unsicherheit, wenn einem die Musik abhaut, ist es schön zu sehen, wie der Spieler damit umgeht, wie er sich rettet“, sagt Kersjes. So werde die Unsicherheit zur Möglichkeit. Immer sei Großartigkeit obligatorisch, auch dann, wenn sie selbst ein wenig ulkig sei.

Kersjes geht nach Berlin. Die Haare seien auch unter der Maske weg. „Wenn ich noch Rockmusiker werden will, muss es jetzt sein“, sagt Kersjes, der vor dem Schauspielstudium zwischen Rockmusik und Oper schwankte (siehe „Wandlungsfähiger Künstler“). Nach einem Gastspiel in Potsdam soll es nun der Mann am Klavier werden, mit Kabarett, Satire und absurden Improvisationen. Kersjes spricht vom Vorbild Helge Schneider, von der Wucht dahinter, von der Arbeit an einem Soloprogramm. Ja, er werde sich umdrehen. Langsam werde ihm gewahr, wie wichtig die Zeit in Dessau für ihn gewesen sei. Man denke, man gehe seinen Weg und dann falle einem auf, welche Stationen, welche Regisseure (Kersjes nennt Niklas Ritter und Lukas Langhoff) einen auf einen anderen Weg gebracht hätten.

„Wichtig war die Begegnung mit Thorsten Köhler - ein Clown im Geist“, sagt Kersjes. Als Filmkritiker Rutten und Pocken standen beide vor der Leinwand im Kiez-Kino Dessau, kommentierten Trash-Filme, Filme, die ausversehen Müll, mangelhafte Machwerke wurden. „Trash am Montag“ läuft weiter, in Coburg, wo Köhler jetzt ist.

Vergeben, verschenkt, gefunden

Wichtig sei ihm, Kersjes, zudem das ganze Ensemble gewesen, auch sonnabends, wenn man wieder keinen Ort zum Tanzen gefunden hätte. „Wir haben den Dialog gesucht, versucht für das Publikum in der Stadt zu spielen. Wir können ja nur spielen.“ Kersjes spricht von der Erinnerung an das romantische Bild einer fahrenden Gauklertruppe. Die drohende Schließung habe er lange kaum ernst genommen. Erst in der Märchenzeit, als „Der kleine Muck“ lief, habe er eine beängstigende Leere gespürt. Eine solche Situation lasse keine Eitelkeiten mehr zu, alle seien auf gleicher Ebene, alle gleich gefährdet, alle richtige Clowns, die dennoch weiter spielten. Er fühle sich nun zuweilen wie die Ratte, die das sinkende Schiff verlasse. Eine Ratte? Aber nein, wie ein eingelegter Frosch hat er gerade ausgesehen, als er in der Unterwelt so selig Klavier spielte. Jetzt bröckelt die Maske, hinter der sich Jan Kersjes wieder einmal völlig vergeben, verschenkt und gefunden hat.

Kasimir geht, ohne Karoline. Zsa Zsa Gabor geht, ohne Beine. Rosencrantz und Guildenstern schieben ihr Klavier aus der Stadt. Der kleine Muck hat die Pantoffeln angezogen. Dreimal drehen und…