Helfen sie auch gegen Mutationen? Dessauer Klinikum zieht positive Bilanz nach Test von Anti-Corona-Medikamenten
Antikörper-Medikamente könnten Ruder in der Pandemie herumreißen. In Alten verringerten sie das Sterbe-Risiko drastisch.
Dessau-Roßlau - Das Städtische Klinikum Dessau war Mitte März eines der ersten Krankenhäuser deutschlandweit, das Corona-Risikopatienten mit Antikörper-Medikamenten aus den USA behandeln durfte. Etwas mehr als einen Monat später berichtet Professor Dr. Gerhard Behre, Chefarzt für Innere Medizin, fast schon euphorisch von den damit erzielten Erfolgen.
„Durch die Antikörper ist für Risikopatienten in Dessau die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs von 75 auf sieben Prozent gesunken“, so Behre am Dienstag. Ein schwerer Verlauf könne in 70 Prozent der Fälle verhindert werden. Inzwischen hat sich die Mortalität durch zwei weitere Todesfälle zwar auf 21 Prozent erhöht, was allerdings noch immer ein deutlich niedrigeres Sterbe-Risiko ist als ohne das Medikament.
Insgesamt haben in Alten bislang 14 Patienten die Antikörper erhalten. Nur zwei von den 14 mussten auf die Intensivstation verlegt werden, beide sowie ein weiterer sind dann allerdings verstorben. Die Wirksamkeit sei dennoch beeindruckend, erklärte Behre.
Werden die Antikörper-Medikamente zum echten „Game-Changer“?
Bei derart positiven Erfahrungen deutet alles darauf hin, dass Antikörper-Medikamente zum echten „Game-Changer“ in der Pandemie avancieren könnten, „zumindest als Überbrückung, bis die Bevölkerung durchgeimpft ist“, so Behre. Auf jeden Fall verhindern können sie offenbar, dass die Intensivstationen volllaufen und das Gesundheitssystem an die Überlastungsgrenze kommt.
Den besten Beleg dafür liefert das Dessauer Klinikum selbst. Denn während andernorts die Zahl der Intensiv-Patienten teils wieder die Kapazitäten übersteigt, ist sie in Alten seit Wochen konstant niedrig. „Die Antikörper-Präparate sind hier das Zünglein an der Waage“, bestätigt Professor Behre.
Damit das aber auch so bleibt, müssten Risikopatienten so früh wie möglich ins Klinikum kommen. „Das ist unser eindringlicher Appell“, betont der Arzt. Es würden noch immer Leute eingeliefert, bei denen die Krankheit schon weit fortgeschritten sei. „Dann ist es zu spät.“
Verabreicht wird das Medikament per Infusion, etwa eine Stunde dauere das und eine Dosis genüge
Denn Antikörper-Medikamente müssten möglichst früh nach Ausbruch von Covid-19 verabreicht werden. Behre verortet das Zeitfenster konkret zwischen drei und zehn Tagen nach Symptombeginn. Sobald das Virus aber in die Zellen eingedrungen sei und sich vermehre, wirkten die Mittel nicht mehr. „Die Entzündungsreaktion des Körpers ist dann ein Selbstläufer. Die Viren in diesem Stadium mit dem Medikament abzutöten, bringt nichts mehr“, beschreibt Behre die Abläufe.
Wer also zur Risikogruppe gehöre, per PCR-Test positiv getestet worden sei und erste Symptome zeige, solle sich nicht scheuen, sofort ins Klinikum zu kommen, bittet Behre noch einmal. Risikofaktoren seien zum Beispiel hohes Alter, Übergewicht, ein geschwächtes Immunsystem, eine Krebs- oder Lungenerkrankung. Die Risiko-Gruppe sei groß.
Verabreicht wird das Medikament per Infusion. Etwa eine Stunde dauere das und eine Dosis genüge. Noch werden die Patienten dabei streng überwacht. Wobei man in Dessau bislang keinerlei schwere Nebenwirkungen oder allergische Reaktionen gesehen habe. Daher könnte laut Behre schon bald sogar eine ambulante Anwendung wie in den USA möglich sein. „Schon jetzt können wir die Leute viel schneller entlassen. Zehn der 14 Patienten, die das Mittel erhalten haben, sind bereits wieder zu Hause.“
Das Klinikum hatte sich frühzeitig darum bemüht und den Zuschlag erhalten
Obwohl Antikörper-Präparate in der EU noch nicht zugelassen sind, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 200.000 Dosen aus den USA erworben und an große Krankenhäuser verteilt. Das Klinikum hatte sich frühzeitig darum bemüht und den Zuschlag erhalten.
Geliefert wurden zwei unterschiedliche Medikamente: „Bamlanivimab“, das auch Ex-US-Präsident Donald Trump verabreicht wurde, und „Regn-Cov2“. Beide arbeiten mit eigens für das Covid-Virus designten - „monoklonalen“ - Antikörpern, die hochwirksam verhindern, dass die Spike-Proteine der Viren in die Zellen eindringen können.
Mutationen können das Spiel allerdings wieder zugunsten des Virus’ drehen. So hat Bamlanivimab in den USA kürzlich seine Notfallzulassung verloren, weil es nicht gegen die südafrikanische Variante wirkt und nur bedingt gegen die britische.
„Wir wollen doch mal sehen, wer am Ende das Wettrennen gewinnt“
Am Städtischen Klinikum hatte man deshalb bereits seit Ende März ausschließlich auf Regn-Cov2 gesetzt. „Dieses Präparat wirkt nicht nur zuverlässig gegen die britische Mutante, die wir in Dessau vorrangig haben, sondern auch gegen die südafrikanische und wahrscheinlich sogar die brasilianische“, erklärt Professor Behre.
Da letztere beiden Varianten eher noch nicht einmal in Dessau angekommen seien, ist der Mediziner zuversichtlich, dass Regn-Cov2 noch eine ganze Weile wirksam sein werde, bis eine neue Mutation auftauche. Dass es immer neue Mutationen geben werde, ist für Behre gewiss. Die Entwicklung neuer monoklonaler Antikörper gehe jedoch ebenfalls schnell. „Wir wollen doch mal sehen, wer am Ende das Wettrennen gewinnt“, zeigt sich der Chefarzt optimistisch.
Denn das Mittel sei mit 2.000 Euro pro Dose vergleichsweise billig
Zuversichtlich zeigt er sich auch, dass der Bund bald weitere Antikörper-Dosen nachkauft. Denn das Mittel sei mit 2.000 Euro pro Dose billig. Behre verdeutlicht das anhand eines Vergleichs: „18 Tage Intensivstation kosten dagegen bis zu 80.000 Euro.“
Für die neue Waffe im Kampf gegen Corona ist der Infektiologe sehr dankbar. „In der zweiten Welle Ende Januar sind wir fast übergelaufen, da wurde mir Angst und Bange. Ich hatte beinahe keine Ärzte und Pfleger mehr.“ In drei Stunden Visite habe er damals mitunter fünf Todesfälle zu beklagen gehabt. „Das will ich nicht noch einmal erleben.“
Damit das klappt, müsse man trotz Medikament große Anstrengungen unternehmen. „Wir sind mitten in der dritten Welle und haben viele Aufnahmen.“ Dass die Patienten-Zahlen trotzdem konstant bleiben, liege nur an den schnelleren Entlassungen. „Dieses Kommen und Gehen strengt aber sehr an, Ärzte und Pfleger machen viele Überstunden, um die Zahlen unten zu halten.“ Man habe schließlich noch andere Patienten, um die man sich ebenso dringend kümmern müsse, unterstreicht Behre. (mz/Daniel Salpius)