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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Zu viele Mandeloperationen bei Kindern?

Von Carla Hanus 19.02.2015, 20:23
In einem Operationssaal.
In einem Operationssaal. Uwe Anspach/ DPA Lizenz

Dessau - Überdurchschnittlich viele Mandel-Operationen gibt es in Sachsen-Anhalt gegenüber anderen Bundesländern. Und Dessau-Roßlau nimmt da noch eine Spitzenposition ein. Das hat die Deutsche Presse-Agentur einer Regionalauswertung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2014 entnommen. Die OECD-Studie, die sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes stützt und von der Bertelsmann Stiftung begleitet wurde, weist auf medizinische Unter- und Überversorgung in einigen Regionen hin. Dabei stellte die Studienverantwortliche Claudia Haschke fest: „Der Kreis Börde, Kreis Harz und Dessau-Roßlau fallen durch besonders hohe Mandel-OP-Raten auf.“ Woran das liegt? Auf diese Frage suchte die MZ Antworten.

Seit Jahren steigend ist die Zahl der medizinischen Eingriffe im Land. Das geht aus Angaben des Statistischen Landesamtes in Halle hervor. Im Fünfjahresvergleich erhöhte sich die Zahl der stationären Operationen in den Kliniken von 398.144 im Jahr 2008 auf 428.489 Operationen im Jahr 2013. Das ist ein Plus von mehr als sieben Prozent. Statistisch gesehen lag somit jeder fünfte Sachsen-Anhalter im Jahr 2013 einmal auf dem Operationstisch. (dpa)

Von welchen Mandel-Operationszahlen ist in der OECD-Studie die Rede?

In Dessau-Roßlau werden mit statistisch 149 Operationen je 10 000 Kinder sechsmal häufiger die Mandeln entfernt als im sächsischen Görlitz. Dort sind es 25 Operationen je 10 000 Kinder.

Wann werden im Städtischen Klinikum Dessau Mandel-Operationen durchgeführt?

„Tonsillektomien (operative Entfernung der Gaumenmandeln - d.R.) werden überwiegend bei Kindern ab dem vierten Lebensjahr bis ins Pubertätsalter vorgenommen“, sagt Professor med. habil. Stephan Knipping, Chefarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen am Städtischen Klinikum Dessau. „Auch bei Erwachsenen kann dieser Eingriff notwendig werden, oft als Notfall-Operation bei Abzessbildung im Rahmen einer akuten Mandelentzündung. Die Erhebung der Krankengeschichte ist für die Festlegung einer Operationsindikation entscheidend.“ Bei jedem Patienten werde vor der Operation die Notwendigkeit des Eingriffs geprüft und mit ihm beziehungsweise mit den Eltern des betroffenen Kindes besprochen. „Zudem werden die Patienten auch von einem niedergelassenen Facharzt über Jahre betreut“, weist Professor Knipping auf weitere Meinungen zum Eingriff hin. „Dieser Fachkollege entscheidet ebenfalls im Vorfeld, ob die Operation medizinisch erforderlich ist.“

Gibt es eine Erklärung für die Häufigkeit der Operationen in Dessau im Vergleich zu Görlitz?

Die Abweichungen der Rate von Mandeloperationen im Bundesvergleich bietet nach Ansicht des Chefarztes vielfältige Erklärungsansätze. „Für das Dessauer Klinikum ist das Einzugsgebiet aufgrund des geringen Aufkommens von HNO-Kliniken im Umkreis sehr groß.“ Einweiser in die HNO-Klinik sind die behandelnden Kinderärzte, auch Haus- sowie HNO-Ärzte aus der gesamten Region und darüber hinaus. „Zusätzlich werden auch von allen anderen HNO-Kliniken Sachsen-Anhalts und von niedergelassenen HNO-Belegärzten Tonsillektomien durchgeführt.“

Die Studienverantwortliche Claudia Haschke sieht auch finanzielle Gründe für die Häufung der Operationen und bezeichnet diese als „eine meist gut planbare Leistung“.

Diese Vermutung weist Professor Knipping klar zurück: „Bei den eng kalkulierten Budgets für Mandeloperationen entfallen ökonomische Anreize zur Durchführung dieser Eingriffe.“

Ist eine Tendenz erkennbar, ob die Zahl der Mandel-Operationen zu- oder abnehmen wird?

Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie überarbeitet aktuell eine bereits bestehende, wissenschaftlich fundierte, umfassende ärztliche Leitlinie zur Mandelentfernung. Diese Leitlinie wird voraussichtlich in diesem Jahr von der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Fachgesellschaften offiziell publiziert. (mz)