Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Vom Abstellgleis geholt und wieder herausgeputzt
Dessau/MZ. - Die Begeisterung hielt sich anfänglich in Grenzen. Den Berlinern helfen? Deren S-Bahnen auf Vordermann bringen? Mit solchen Fahrzeugen hatte man im Dessauer Werk der DB Fahrzeug-instandhaltung GmbH, dem ehemaligen RAW, keinerlei Erfahrung.
Am Freitag aber wurde der 52. seit 2009 in Dessau überholte S-Bahn-Viertelzug übergeben. Ein Viertelzug, bestehend aus jeweils einem Treibwagen und einem Wagen der Baureihe 485 / 885.
Eigentlich sollten Züge dieses in Henningsdorf entwickelten Typs ausgemustert werden. Seit 2003 fuhr die Berliner S-Bahn GmbH, eine DB-Tochter, die Züge auf Verschleiß. Doch, wie sich 2009 zeigte, nicht nur diese. Das Eisenbahnbundesamt entdeckte massive Mängel im gesamten Fahrzeugpark. Risse in den Radscheiben waren es zunächst, später wurden mangelhafte Bremsen entdeckt - die DB hatte die S-Bahn im Wortsinn kaputtgespart. Ein Zug nach dem anderen wurde aus dem Verkehr gezogen, Berlin hatte einen veritablen Skandal und entdeckte die Langsamkeit: zeitweise waren nur halb so viel Wagenpaare nötig, wie erforderlich.
In dieser Situation erinnerte man sich der Baureihe 485 / 885 und der eigenen DB-Werke. Sie sollten die in die Jahre und heruntergekommenen Wagen aufmöbeln, modernisieren und vor allem sicher machen. Fulda, Kassel und Wittenberg erhielten den Zuschlag für die diversen Arbeiten von Rissreparaturen bis hin zur Renovierung des Innenraums. Dessau übernahm die Revision, die ganz große Durchsicht also nebst der Beseitigung aller dabei aufgedeckten Mängel.
Michael Otto, Chef der Dessauer Fahrzeuginstandhaltung und erst seit einem halben Jahr im Amt, hatte sich zuarbeiten lassen, vor welche Herausforderung die Werke sich mit dem ungewöhnlichen Auftrag gestellt sahen: Jede Menge Koordination war vonnöten, neue Vorrichtungen mussten gebaut werden, Mitarbeiter geschult. Allein Dessau musste 2 100 neue Lagernummern für Ersatzteile vergeben, über die man zuvor nicht verfügte. Am Ende hatte das Dessauer Werk 260 000 Arbeitsstunden reingesteckt, zusätzlich zum normalen Arbeitsaufkommen, wie Otto betonte. "Das entspricht der Jahresarbeitsleistung manch kleinerer Werke." Obwohl nun insgesamt 52 Züge generalüberholt und modernisiert ausgeliefert wurden - unterwegs in Berlin sind sie deshalb längst noch nicht. Das Werk in Schöneweide kommt mit der Inbetriebnahme nicht hinterher, räumte Freitag der mitten im Desaster zur S-Bahn gekommene Instandhaltungschef Wolfgang Wüllhorst ein. Bislang seien 40 Wagenpaare in Betrieb genommen worden.
Bis 2017 nun sollen die in Dessau der Revision unterzogenen Züge der Baureihe 485 / 885 in Berlin unterwegs ein, dann werden sie aufs Abstellgleis gefahren. Ohnehin wird man sie schon heute längst nicht mehr auf allen Strecken antreffen, weil zum Beispiel Tunnelstrecken mit diesem Zugtyp nicht mehr befahren werden dürfen. Was schon viel eher nicht mehr zu erleben sein wird: der - wenn auch rare - Anblick einer durch den Dessauer Hauptbahnhof fahrenden Berliner S-Bahn.