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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Präludium für einen Kaktus

Von thomas altmann 06.08.2012, 17:09

dessau/MZ. - Stahlrohstuhl und Stahlrohrflöte blasen kein Duett. Ein Lautsprecher grundiert. Ein Gummiband schlägt auf. Der Trommel wurde die Grillwurst entzogen. Und alles geschieht in großer Absichtslosigkeit, absichtlich.

Der Ton macht die Musik, nur das Geräusch stört, minderwertig, weil aperiodisch? Aber nein: "Überall ist Musik", behaupteten augenfällig 16 Kinder im Alter von acht bis 13 Jahren, die am Freitag auf der Bühne im Bauhaus musizierten. "19'26" hieß das Stück und war ebenso lang, ein Resümee am Ende der Ferienwerkstatt. Der Titel verweist auf das Baujahr des Bauhauses in Dessau. Die Dauer der geschlagenen Sätze orientiert sich am Geburtsdatum des Komponisten, Malers, Mykologen und Aktionskünstlers John Cage, der am 5. September 1912 geboren wurde.

Inszenierte Langsamkeit

Dieser Geburtstag wird am Bauhaus gefeiert werden und auch in Halberstadt, wo 1361 die erste Blockwerk-Orgel gebaut wurde. Nun stehen in der Burchardikirche die Klänge von "Organ² / ASLSP" potentiell unendlich. Im Jahr 2000 begann das Stück, welches die Distanz von 639 Jahren als Werk-Länge nimmt. "As SLow aS Possible" vertraut auf die Zukunft und inszeniert die Langsamkeit. Neben der Langsamkeit gehören Stille und Geräusche zum Material des Komponisten John Cage. Er sagte: "Die Musik, die mir am liebsten ist, …ist einfach die, die wir hören, wenn wir ruhig sind."

Cage ließ sich in einem schalltoten Raum der Harvard University einschließen und hörte seinen Körper. Robert Rauschenberg radierte eine Zeichnung von Willem de Kooning aus oder malte weiße Bilder. Auf einem weißen Blatt steht dreimal "Tacet". Die Partitur von "4'33" erschien in der Edition Peters. Was ist zu sehen auf weißen Bildern, was zu hören, wenn das Klavier vier Minuten und 33 Sekunden schweigt? Die Hörer werden zu Akteuren, hüstelnd, raschelnd, atmend. Die Kinder sahen per Video die Bearbeitung für großes Orchester. Dieses Stück, sagte Cage, habe er überwunden; und Rauschenberg montierte, auf Harmonie verzichtend, die alltägliche Wirklichkeit in seine Bilder, oder "monogrammierte" ein liegendes Bild mit einem ausgestopften Ziegenbock in einem Autoreifen. Das ist nur eine der Schnittstellen der Musik von John Cage zur bildenden Kunst. Und auf der Bühne im Bauhaus schwingt der Kaktusdorn. Ein Junge schlägt auf einen Pappteller Es ist nicht ohne weiteres zu sehen, dass, begleitet durch die Schauspielerin Silke Wallstein, die Bewegungen dem Münzwurf folgen, dass hier nach dem Zufallsprinzip des "I-Ging-Orakles" choreographiert wurde. Es ist nicht ohne weiteres zu hören, dass sich die Musik unter Leitung von Boris Cepeda, stellvertretender Studienleiter und Korrepetitor am Anhaltischen Theater, vom Bauhaus als Gebäude inspirieren ließ.

Versuch mit offenem Ende

Warum hat es Neue Musik so schwer? Die harmonische Welt sei unsere Heimat, sagt Cepeda, aber: "Bach ist für ein Kind auch neue Musik." Er spricht vom Umgang mit der Zeit, von der Konzentration bei der Klangerzeugung. Nur wie agiert man absichtslos? Indem man lediglich einen Zeitrahmen setzt? Und was ist Zufall? Völlige Beliebigkeit, oder doch das, was einem zufällt, keineswegs grundlos? Vor allem spiegelt "19'26" die Arbeitsatmosphäre der Ferienwoche. Museumspädagogik am Bauhaus hat eben keinen Türdrücker zu adeln, keinen aufgesetzten Stil- oder Epochebegriff zu strapazieren. Vom Bauhaus bleibt vor allem die Versuchsanstalt, in der die Zukunft auseinander gelegt und immer wieder neu sortiert wurde, wie die Fassade, wie der Körper eines Hauses, ein Versuch mit offenem Ende, ein offenes Spiel. László Moholy-Nagy spielte im Schlagzeug-Ensemble von Cage. Cage lehrte am Black Mountain College.

Wie verschachteln wir die Gegenwart, wer oder was wird aussortiert, wer oder was der Harmonie geopfert? Nur die Geräusche? Bitte nicht hüsteln, weil die Harmonie gefährdet ist? Jemand hüstelt. Ein Kind schreit. Ein Vater drückt auf den Auslöser und spielt demnach mit. Die Kinder zerknüllen Papier. Es fliegt auf den Boden und macht, fliegend, fallend, landend Musik.