Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Katzenjammer in Törten
DESSAU/MZ. - Ihren Spitznamen hat die "Vogelsiedlung" am Stadtrand kurz vor der Muldeaue aus dem Straßenverzeichnis hergeleitet. Da geben sich an Wegkreuzungen Amsel, Drossel, Fink und Star die Straßenschilder quasi "in die Hand". Die Meisen kommen dazu und die Lerchen und die Dohlen. Einfamilien- und Doppelhäuser fügen sich in Karrés zusammen. Eine kleine, ruhige Wohnlage. Idyllisch, meint der Besucher. Und so friedlich.
Friedlich und ruhig? Mit diesen Attributen würden Gisela und Wolfgang Jakob ihre derzeitige Seelenverfassung am allerwenigsten schmücken. Aufgewühlt und voller Kummer sind beide. Ihre Sorge gilt einem vierbeinigen Familienmitglied. Am 24. Januar verschwand Hauskatze "Flecki". Spurlos und bisher auf Nimmerwiedersehen.
Die Suche nach dem Stubentiger aus dem Drosselweg - sie nahm in den vergangenen Wochen immer größere Ausmaße an. Erstreckte sich über immer weitere Gebiete, bezog immer mehr Leute und Einrichtungen ein. "Wir verteilen Flyer und veröffentlichen Steckbriefe in der Wochenzeitung, machen die ganze Stadt 'wuschig' und gehen jedem Hinweis nach, um unser kleines Kätzchen wieder nach Hause zu holen. Und es war doch jetzt so schrecklich kalt." Gisela Jakobs Stimme zittert merklich.
Die 63-Jährige und ihr Mann Wolfgang (65) sind 1996 in den Drosselweg gezogen, haben sich in der Nachbarschaft vieler "Alteingesessener" gut eingelebt. Was hier Grundstücksgrenzen vergessen lässt, ist die Tierliebe der Anwohner. In der Vogelsiedlung sind häufig Katzen Hausgenossen der Menschen. Und die Samtpfötchen tummeln sich mit ihresgleichen, spielen und futtern zusammen. "Hier schmeißt keiner die Nachbarskatze aus dem Haus, wenn die mal am fremden Futternapf schnuppert", ist sich Gisela Jakob sicher.
Und fast wie auf Kommando kommt ein rot-weißes Fellbündel auf die Veranda gesprungen. "Samson, komm' rein", öffnet Frau Jakob die Tür. Samson gehört - eigentlich - in den Amselweg um die Ecke. Und die Geschichte des stattlichen, kastrierten Katers ist eng verbunden mit "Fleckis". "Sie waren richtig dicke Freunde", erzählt Wolfgang Jakob. Und als Samson am 13. Dezember plötzlich verschwand, bedauerten die Katzenfreunde im Viertel den Verlust des sehr beliebten und anhänglichen Tieres. Auch "Flecki" hat gekümmert, als sie plötzlich keinen "Samson" mehr hatte. Diesen "Katzenjammer" vermochten sich die Jakobs nicht länger ansehen. Und fuhren nach Kleutsch, wo der Verein "Ein Heim für Tiere" abgegebenen Pfleglingen ein "Gnadenbrot" gibt. Oder günstigstenfalls eine zweite Chance. Das Katzenmädchen Jana war wegen schlechter Haltung den Vorbesitzern entzogen worden. Und als Wolfgang Jakob den kleinen Tiger auf den Arm nahm, klammerte und krallte sich Jana an ihre zweite Chance. "Die nehmen wir mit", entschieden die Jakobs sofort. Und Flecki hatte einen neuen Kumpel.
Dann freilich nahmen seltsame Ereignisse ihren Lauf. Samson taucht wieder auf. Am 13. Januar melden die Mitarbeiter der Remondis-Deponie zwischen Roßlau und Coswig einen zugelaufenen rot-weißen Kater und informieren den Verein "Katzen in Not" aus Coswig. Katzenfreundin Müller, die in Klieken wohnt und dort eine Futterstelle versorgt, holt das Tier zu sich nach Hause. Inzwischen laufen die Kontakte im "Netzwerk" der Katzenfreunde zwischen Wittenberg. Roßlau, Zerbst und Dessau an. Meldungen zu vermissten oder aufgefundenen Tieren werden dies- und jenseits der Elbe abgeglichen. Das Tierheim Dessau entdeckt in seiner Liste einen gesuchten Rot-Weißen, bei dem auch Details vom "Remondis-Zuläufer" zutreffen. Und Samson wird sofort wieder heim in den Amselweg geholt. Happy End?
In der Vogelsiedlung aber häufen sich kurz vor dem Jahreswechsel die Vermisst-Meldungen: Aus dem Drosselweg 13 verschwindet Pinki. In der Heiligen Nacht findet Purzel aus dem Drosselweg 56 nicht heim in die zweite Doppelhaushälfte. Auch Purzel ist ein Rot-Weißer. Und auch er taucht wieder zwischen Roßlau und Coswig auf, findet Unterschlupf bei der einzigen Menschenansammlung am Waldrand - bei Remondis.
Am 24. Januar schließlich verschwindet Flecki. Und Jakobs starten eine Großsuche. In dem völlig verängstigten Fundtier bei Remondis erkennen sie Purzel. Dessen Besitzer hockt sich minutenlang rufend und lockend auf die Knie, ehe sich der Kater aus dem Gesträuch hervorwagt und wieder mit heimgenommen werden kann. Gisela und Wolfgang Jakob hingegen durchkämmen erfolglos große Waldstücke bei Rotall, fragen in der Kiesgrube Klieken, suchen in Roßlau eine Gartensparte ab. Verteilen Flugblätter in Klieken, Zieko, Luko und Roßlau. "Wo ist Flecki?"
Für Marlies Franz vom Dessauer Tierheim ist es unwahrscheinlich, dass Katzen ohne Not eine so weite Strecke auf sich nehmen. "Sie verschwinden aus der gleichen Straße und tauchen kilometerweit entfernt an gleicher Stelle wieder auf? Das ist sehr mysteriös." Der Austausch im weit gefächerten Netzwerk der Katzenfreunde legt den Verdacht nahe, dass hier ein Katzenfänger unterwegs ist. Und es gibt eine Häufung der Abgänge um Törten. Neben der Vogelsiedlung verschwanden auch Tiere vom Stadtweg und Solbruchweg. Der Tatort-Radius dehnt sich aus bis Haideburg. Hier verschwand Kater James. Und wurde nach Wochen wiedergefunden in Meinsdorf. Besteht noch Hoffnung für die bildhübsche Flecki? Wegen ihrer Dreifarbigkeit Schwarz-Weiß-Rot nennen Tierfreunde sie "Glückskatze".
Hinweise zu Flecki an Familie Jakob, über 0340 / 8 5 4 6 3 88