Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Ex-Oberbürgermeister Koschig schreibt Stadtgeschichte

Rosslau - Es gibt Schlüssel, mit denen kann man Türen öffnen. Und es gibt Schlüsselerlebnisse, die prägen für immer. Dass er sich so sehr für die Roßlauer Stadtgeschichte und für die Anhalts interessiert, wurde Klemens Koschig nicht etwa in die Wiege gelegt. Der Großvater wirkte einerseits inspirierend. Andererseits gehört eine gewisse Neugier und Ausdauer dazu, in der Geschichte nach Schlüsselerlebnissen zu suchen. Mit Klemens Koschig sprach MZ-Redakteurin Annette Gens.
Ihr Schlüsselbund ist geradezu minimalistisch. Man kann - nach Ihrem Bund zu urteilen - mit vier Schlüsseln durchs Leben gehen?
Koschig: Es waren schon einmal mehr. Aber das passt schon. Der eine ist für mein Haus für vorne und hinten. Mehrere Schlösser kann man damit bedienen. Der größte ist eine schöne Erinnerung. Es war einmal der Schlüssel für unser Gartentor, das heute nicht mehr existiert. Mein Vater gab mir diesen Schlüssel am Tag meiner Einschulung am 6. September 1964. Er ist inzwischen eine Art Talisman und eine schöne Erinnerung daran, dass der Weg zwischen meinem Zuhause und der Schule in der Goethestraße durch das Gartentor recht kurz war. Es ist der erste Schlüssel, den mir mein Vater anvertraute. Deshalb ist er für mich noch immer wichtig und der Grund, weshalb ich ihn bei mir trage.
Sie sind ein Kenner der Heimatgeschichte. Deshalb hätte man vermuten können, Sie tragen viel mehr Schlüssel bei sich. Gab es denn ein ganz persönliches Schlüsselerlebnis zur Geschichte Roßlaus?
Koschig: Da gab es einige. Ich erinnere mich an meinen Großvater mütterlicherseits. Obwohl in Bonn geboren, war er ein echter Roßlauer. Er kannte er sich gut in der Geschichte Roßlaus und Anhalts aus. Er erlebte die 700-Jahr-Feier Roßlaus mit, so wie ich 750 und jetzt 800 Jahre Stadtgeschichte mitgefeiert habe. Wenn wir Kinder mit ihm im Wörlitzer Park unterwegs waren, stritt er sich häufig mit den Kahnfahrern und korrigierte das, was sie ihren Gästen über Anhalt und den Park erzählten. So wurde uns Kindern die Region Anhalt schon zeitig nahe gebracht. Wir sind mit Geschichten und Geschichte aufgewachsen. Und schließlich haben wir uns Stadthistorie über unsere eigene ganz private Geschichte erschlossen.
Gab es einen konkreten Anlass?
Koschig: Zur Silberhochzeit meiner Eltern hatten mein jüngerer Bruder und ich die Idee, die Geschichte unseres Hauses in der Roßlauer Elbstraße 47 aufzuarbeiten. Wir wussten, dass es 1731 neu aufgebaut worden war. Unsere Eltern blickten damals auf 25 Ehejahre. Unser Haus war mindestens zehnmal so alt, also 250 Jahre. Recherchieren wollten wir das in alten Kirchenbüchern. Das scheiterte jedoch anfangs am Lesen der Einträge. In den Semesterferien haben wir deshalb vier Wochen Frakturschrift geübt, um sie lesen zu können. Uns hat das einfach Spaß gemacht und letztlich eröffneten uns die erworbenen Fähigkeiten dann den Blick in die Geschichte unserer Vorfahren, unter anderen in die der Familien Unger, Preil, Pakendorf, Voigt, Rathmann und eben auch der Familie Koschig.
Wie alt ist das Haus, in dem Sie heute leben, tatsächlich?
Koschig: Ganz bestimmt viel älter als wir damals, 1981, vermutet haben. 1717 wurde es, wie viele andere Gebäude der Elbstraße und Marktstraße, bei einem Brand zerstört. Bis 1731 wurde es wieder aufgebaut. Ich mutmaße, dass meine Vorfahren in der Zwischenzeit in der Brandruine gelebt haben. Unser Haus gehörte zu den 48 Roßlauer Häusern, die ein Braurecht hatten. Das Bier wurde in der alten Brauerei am Markt gebraut und zu Hause im Gewölbekeller im Fass eingelegt. Und von dort aus dann natürlich verkauft.
Gibt es diesen Gewölbekeller noch?
Koschig: Natürlich. Und wir wissen dieses Gewölbe noch heute zu schätzen. Da lagert heute noch unser Bier. Nur nicht in Fässern. Es ist ein Raum, der Sommer wie Winter relativ konstante Temperaturen aufweist.
Aber zurück zur Roßlauer Geschichte. Mit dem Brand im Jahre 1717 wird die Geschichte unserer Vorfahren auch ein Stück Stadtgeschichte.
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Was genau ist damals passiert?
Koschig: Am 4. November 1717 heiratete der Roßlauer Maurergeselle Johann Martin Pfeil Fräulein Martha Magdalena Barthel. Am Tag darauf hat die Magd des Hochzeitshauses Asche entsorgen sollen und dabei durch Unachtsamkeit die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt.
Kann man all das in den Kirchenbüchern nachlesen?
Koschig: Nicht alles, aber doch sehr vieles. Ich hatte als junger Mensch schnell Freude daran, nicht nur in Kirchenbüchern nach Geschichte und Geschichten zu suchen. Acht Tage Urlaub im Jahr habe ich zwischen 1981 und 1990 genutzt, um in Archiven zu forschen. Das war die Zeit, als ich als Maschinenbauingenieur im Deutschen Hydrierwerk Rodleben tätig war. Später, nach der politischen Wende, fehlte mir oftmals diese Zeit, was ich bedauerte. In Archiven in alten Dokumenten zu lesen, das ist für mich etwas ganz Großes. Damals war ich starker Raucher. Aber wenn ich im Archiv war, brauchte ich keine einzige Zigarette. Gefesselt haben mich dann die alten Dokumente.
Sie sind Ingenieur geworden. Hätten Sie nicht viel lieber etwas anderes studiert als Maschinenbau?
Koschig: Ich wollte ursprünglich Kunstwissenschaften studieren, habe aber die Aufnahmeprüfung „verpatzt“, weil mein Wissen über Willi Sitte (das war in der DDR ein berühmter Maler - die Red.) begrenzt war. Aber ich war auch gerne Ingenieur. Von meinem Beruf habe ich in der Zeit als Roßlauer Bürgermeister und Dessau-Roßlauer Oberbürgermeister profitieren können. Immer dann, wenn es um technische Fragen ging oder einfach Pragmatismus gefragt war.
Wenn Sie wählen könnten, was würden Sie heute gern sein: Maschinenbauer, Historiker oder Oberbürgermeister?
Koschig: Bürgermeister oder Oberbürgermeister zu sein, das war schon das Größte. Es ist einfach toll, wenn man eigene Ideen umsetzen und eine Stadt mitgestalten kann. Aber die Zeit ist vorbei. Jetzt ist die Zeit für das dritte Leben. Und da bin ich gerade mittendrin.
Es bleibt mehr Zeit für Geschichte?
Koschig: Es gibt viele Akten und Dokumente, die noch gesichtet werden müssen. Ich habe aber auch Zeit, wieder öfters mein Tenorhorn zu spielen. Deshalb hängt am Schlüsselbund seit längerem der Schlüssel für die Orchesterwohnung in der alten Goetheschule an meinem Bund. Und schließlich habe ich mittlerweile ein Versprechen eingelöst. Sollte es mir die Zeit erlauben, so würde ich die Reihen des Roßlauer Männerchors stärken. Ich bin gern Mitglied des Männerchors.
Und wo bleibt Klemens Koschig, der Heimatgeschichtler?
Koschig: Den gibt es weiterhin.
Könnte es sein, dass Ihr Schlüsselbund wieder größer wird?
Koschig: Vielleicht. Es ist aber die Frage, ob ich das wirklich will.
An welchen Schlüssel denken Sie?
Koschig: Da wäre noch der Schlüssel zum Heimatstübchen in der Roßlauer Ölmühle, das aber sehr gut verwaltet wird. So ein Schlüssel zieht ja auch Verpflichtungen nach sich. Es ist gut, dass er jetzt nicht an meinem Bund hängt.
Welche Pläne haben Sie im angebrochenen dritten Leben?
Koschig: Ich schreibe an der Roßlauer Stadtgeschichte. Es ist eine enorme Arbeit, die noch vor mir liegt. Außerdem bin ich weiterhin in der Arbeitsgruppe Roßlauer Heimatgeschichte aktiv. Auch hier gibt es noch viel zu tun. Ich wünschte mir, dass auch Roßlauer Geschichtslehrer sich in diese Arbeit mehr mit einbringen würden. Jeder ist in diesem Arbeitskreis willkommen. Neugier wird vorausgesetzt.