Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: «Der Reiseantrag» trägt autobiografische Züge
DESSAU/MZ. - Die Urkunde datiert auf den 5. November 1975. Kurt Müller, wohnhaft in Dessau in der Marienstraße, wird aus der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik entlassen, heißt es in dem Papier.
Reisen hin und zurück
Im Frühjahr 1957 übersiedelte Müller aus dem Westen des Landes in die DDR, knapp 20 Jahre danach kehrte er dem Land, das er zunächst für den besseren Teil Deutschlands hielt, wieder den Rücken. In "Der Reiseantrag", 2007 veröffentlicht, erzählt der Autor in Kurzgeschichten auch aus jener Zeit, berichtet vom tristen Alltag in einem Land, das nicht mehr das seine war, von der Intoleranz eines Staates.
Man kann Kurt Müller einen Dessau Autor nennen, auch wenn er nur einen Teil seines 77-jährigen Lebens hier in der Stadt verbrachte. In Dessau begann er zu schreiben, hier lernte er das Handwerk eines Autors. Kurt Müller wurde 1933 in Bad Salzuflen geboren und lebt nun seit einigen Jahren - nach Stationen in Herford und Bielefeld - wieder in seiner Geburtsstadt. Müller wuchs in einem kommunistisch geprägten Elternhaus auf. Der gelernte Tischler war in der kommunistischen Partei, kam 1951 zu den Weltfestspielen der Jugend nach Ostberlin und am 17. Juni 1953 besuchte er einen Lehrgang der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft in Brandenburg. Der Schritt in den Osten war, als 1956 die KPD in der BRD verboten wurde, nur logisch. Die bessere Gesellschaft freilich erwies sich für ihn als Illusion.
"Ich habe schnell gemerkt, dass da nicht alles rund läuft. Am Anfang will man das ja nicht wahrhaben. Als meine Hoffnungen auf Veränderungen immer wieder enttäuscht wurden, stellte ich den Ausreiseantrag", erzählt Müller heute. Kein leichter Entschluss sei dies gewesen, es gab die üblichen Schikanen, die Scheidung von seiner damaligen Frau folgte, denn sie wollte im Osten bleiben. Kurt Müller ging und durfte fast 25 Jahre nicht in das Land zurück, seine Tochter nicht sehen.
"Das habe ich nach dem Mauerfall nachgeholt", erzählt Müller. Und seitdem hat er auch die schreibenden Kollegen von früher wieder gesehen: Christa Borchert, Joachim Specht, Ursula Hörig. "Wir treffen uns immer mal wieder in gemütlicher Runde, meistens im Dessauer Ratskeller", berichtet er. Da sitzt dann eine ähnliche Gemeinschaft beisammen wie in den frühen 1960er Jahren, als es den "Zirkel schreibender Arbeiter" in Dessau gab. Kurt Müller gehörte dazu. Er arbeitet damals bei Abus, schrieb als so genannter Volkskorrespondent Artikel aus seinem Betrieb für die "Freiheit", überwarf sich mit der Redaktion. Als das SED-Blatt seine Texte nicht mehr druckte, gab man ihm Platz für Künstlerporträts bei den Mitteldeutschen Neusten Nachrichten.
Anfang mit simpler Geschichte
"Damals entstand der Zirkel, und ein Kollege machte mich darauf aufmerksam. Ich habe mich da mit einer ganz simplen Geschichte vorgestellt", erzählt er. "Schreiben Sie weiter, Sie haben Talent", habe der Zirkelleiter, der Schriftsteller Werner Steinberg, damals zu ihm gesagt. Kurt Müller schrieb, wählte immer die kurze Form. "Wenn man berufstätig ist, hat man ja für einen Roman nicht so viel Zeit, das hätte Jahre gedauert." Veröffentlicht wurden seine Erzählungen in den wichtigsten literarischen Zeitschriften der DDR. "Wir hatten Werner Steinberg alle viel zu verdanken. Er war ein guter und strenger Lehrer", erinnert sich Müller. Als der Zirkel sich 1970 auflöste, stellte auch Kurt Müller das Schreiben ein.
Neustart nach zehn Jahren
Zehn Jahre sollte es dauern, bis er - inzwischen wieder in der BRD - wieder mit dem Schreiben begann. "Mit Traven auf einer Bank" hieß sein erster Erzählband, der 1984 veröffentlicht wurde. Inzwischen schreib Kurt Müller an seinem zwölften Buch. "Es wird Ausschnitte aus Dichterleben enthalten", sagt er. Angeregt wurde er dazu bei einem Besuch auf Rügen, als er sich mit Ernst Moritz Arndt beschäftigte. Die Erzählungen daraus wird man sicher auch in Dessau hören und kennen, denn seit Kurt Müller wieder seinen früheren Wirkungsort besuchen kann, hat er dies regelmäßig auch bei Lesungen in Dessau und Roßlau getan. "In Dessau, das war keine verlorene Zeit. Das hat mich geprägt", sagt der heute 77-Jährige.