"Dessau - Meine Heimatstadt" auf Facebook "Dessau - Meine Heimatstadt" auf Facebook: So werden Hasskommentare und Hetze gestoppt

Dessau-Rosslau - Informationsflut und Hasskommentare, Filterblasen und „Cambridge Analytica“ - seit Monaten wird in Deutschland darüber gestritten, wie das soziale Netzwerk Facebook den politischen Diskurs beeinflusst. In Dessau-Roßlau entsteht die virtuelle Öffentlichkeit seit fünf Jahren vor allem in der Facebook-Gruppe „Dessau - Meine Heimatstadt.“
Norman Gissel hat sie im Februar 2013 gegründet und verwaltet die Gruppe heute gemeinsam mit vier weiteren Moderatoren. Tim Fuhse hat mit dem 45-Jährigen über Nutzer und die Grenzen der Meinungsfreiheit gesprochen.
Mittlerweile hat die Gruppe 8.328 Mitglieder, das ist rund ein Zehntel der Bevölkerung Dessau-Roßlaus. Haben Sie mit solch einem Anklang gerechnet?
Norman Gissel: Nein, eigentlich hatten wir andere Gedanken. Es gab bereits eine Dessau-Gruppe, in der Chaos herrschte: Rassistische Äußerungen und „Trolle“, die pausenlos beleidigt haben. Also haben wir eine Gruppe aufgemacht, die moderiert wird. Schon in den ersten Wochen sind Hunderte Menschen eingetreten.
Was machen Sie anders?
Gissel: Wenn offenkundig wird, dass Leute beleidigt werden, ziehen wir die Notbremse. Und wir versuchen, verdächtige Profile frühzeitig herauszufiltern.
Wen sortieren Sie aus?
Gissel: Es muss einen erkennbaren Bezug zu Dessau-Roßlau geben. Wenn ein Profil absolut nichtssagend ist, lehnen wir die Anfrage ab oder stellen Fragen. Auch Profile, die einen offensichtlich rechten Hintergrund haben, lehnen wir ab - etwa bei Reichsflaggen als Profilbild. Menschen, die ihren rechten Idealismus verbreiten wollen, geben wir keine Plattform.
Schaffen Sie es so, die viel zitierten Hasskommentare aus der Gruppe fernzuhalten?
Gissel: Wir haben trotzdem hin und wieder damit zu tun. Es wurde schon dazu aufgerufen, gegen Flüchtlinge zum Baseballschläger zu greifen. Aber auch im Mordfall Yangjie Li haben sich Menschen Lynchjustiz gewünscht. Wir mussten einige Beiträge löschen.
Wo verläuft die Grenze zwischen legitimen Äußerungen und Beiträgen, die Sie löschen?
Gissel: Das ist nicht ganz einfach zu definieren. Wenn offen gegen Personen oder Institutionen gehetzt wird - das ist „Bashing“, das wir nicht dulden.
Lässt sich das wirklich so klar und objektiv abgrenzen?
Gissel: Es wird regelmäßig Kritik geübt, dass wir die Meinungsfreiheit beschneiden. Diese ist aber gegenüber staatlichen Institutionen gedacht - und nicht für irgendwelche Facebook-Gruppen. Wir müssen dort nicht hinnehmen, dass krude Ansichten verbreitet werden.
Wenn ein Zehntel der Stadtbevölkerung in der Gruppe organisiert ist, nehmen Sie als Moderator aber durchaus eine Machtposition in der lokalen Öffentlichkeit ein - oder?
Gissel: Als Moderatoren haben wir im Grunde keine Möglichkeit, die Diskussionen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Meist werden sie von Mitgliedern angestoßen. So lange niemand beleidigt wird, rassistische Aussagen fallen oder Schmähkritik an einer Person geübt wird, kann jeder seine Meinung sagen.
Oder sich einfach nur über das Geschehen in Dessau-Roßlau informieren. Machen sie uns den Job als Lokaljournalisten streitig?
Gissel: Eigentlich nicht. Wir Moderatoren stellen - wie gesagt - weniger eigene Inhalte ein, sind eher in einer überwachenden Position. Und es werden ja auch oft Links von der MZ geteilt.
Wie viel Zeit investieren Sie in die Tätigkeit als Moderator?
Gissel: Weil wir alle berufstätig sind, können wir nicht den ganzen Tag vorm Computer sitzen und nach dem Rechten sehen. Am Tag investieren alle Moderatoren zusammen aber sicher zwei bis drei Stunden.
Fünf Jahre existiert die Gruppe nun. Wo steht sie nach den nächsten fünf?
Gissel: Ich denke schon, dass die Gruppe noch wachsen wird. Allerdings nicht mit der Geschwindigkeit wie bisher. Sicher ist nur, dass bei uns eine halbwegs vernünftige Diskussionskultur stattfindet. (mz)