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Brief der Familie von Yangjie Li Dessau: Eltern der ermordeten Studentin Yangjie Li kritisieren Staatsanwalt

Von Lisa Garn 25.05.2016, 21:01
An diesem Haus wurde die Leiche von Yangjie Li gefunden.
An diesem Haus wurde die Leiche von Yangjie Li gefunden. Sebastian

Dessau - Traurig und wütend hat die Familie der ermordeten Studentin Yangjie Li gemacht, was die Dessauer Staatsanwaltschaft zum Tod ihrer einzigen Tochter publik gemacht hat.

Am Dienstag hatte Oberstaatsanwalt Folker Bittmann nach der Festnahme von zwei Tatverdächtigen bei der Pressekonferenz deren Version verbreitet, wonach es bei einem Treffen freiwilligen Sex zu dritt gegeben habe.

Eine Behauptung, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Weil Aussagen von Zeugen aus dem nahen Umfeld von Yangjie Li dagegen sprechen und sich das Paar widerspricht. Auch das hatte Bittmann gesagt. Aber zu spät. Die Familie ist zutiefst verletzt.

Ansehen beschädigt

„Die Vorverurteilung als Teil eines solchen Treffens von Yangjie tötet die Tochter ein zweites Mal im Herzen der Eltern“, sagt Rudolf Lückmann. Der Professor an der Hochschule Anhalt, der mit seiner Frau Yili Lu und Studenten die Eltern der ermordeten Studentin in Dessau betreut, ist bestürzt und voller Wut. So wütend, dass er nachts um zwei Uhr noch eine lange Erklärung an die MZ schrieb. Es sind aufwühlende Zeilen.

In China sei die vom Oberstaatsanwalt verbreitete Version der nun gefassten Tatverdächtigen eins zu eins in den führenden Zeitungen abgedruckt worden. „Das ermordete Mädchen und ihre Familie sind gesellschaftlich in hohem Maße beschädigt. Sie müssen zurück - aber wie? Der Ehre beraubt, mit der Asche ihres auf brutalste Weise ermordeten Kindes in der Hand. Und nun irgendwie weiterleben?“

Mit der weitergetragenen Behauptung sei im Ausland der Glauben an das deutsche Rechtssystem erschüttert worden. Und auch das Vertrauen der Familie von Yangjie Li. „Die Dessauer Polizei hat eine unglaublich gute Arbeit gemacht und sich dabei die Anerkennung des Vaters verdient. Die Staatsanwaltschaft demoliert diesen Erfolg vollends.“

Am Dienstag hatte die Familie in der Polizeidirektion mit der Staatsanwaltschaft gesprochen und sich über die Ermittlungen informiert. „Im Kern hatte der Vater nur eine Bitte und da rang er um Fassung: Die Würde seines in dem ihm so fremden Land ermordeten Kindes zu wahren. Mehr wollte er für seine Familie gar nicht“, sagt Lückmann.

Dann aber habe der Oberstaatsanwalt den mutmaßlichen Mördern den Vorrang vor dem Schutz des Opfers gegeben. „Da haben die zuerst das Wort, die es doch noch lange genug haben. Sie dürfen ihre Version oder auch Lügen bis zum letzten Tag vortragen, bis ihnen das Gegenteil bewiesen ist“, schreibt Lückmann.

„Yangjie kann nicht mehr sprechen. Ihr Mund ist ihr mitsamt dem Gesicht brutal zerschlagen worden. Ihre Leiche ist voller Wunden eines harten Überlebenskampfes, völlig entstellt.“

Erneutes Gespräch mit den Eltern

Sogar in der Polizeidirektion war man laut MZ-Informationen offenbar entsetzt, dass diese Äußerungen gefallen sind. Am Mittwoch hat es ein erneutes Gespräch zwischen den Eltern und der Polizei gegeben, um Vertrauen zurück zu gewinnen und Schadensbegrenzung zu betreiben.

Über Lückmann ließ die Mutter von Yangjie Li ausrichten: „Ich verstehe nicht, dass sich ein Mann in einer so hohen Position so äußern kann. Er vertritt das Gesetz und verhält sich unprofessionell. Ich weiß nicht, ob er einen Narren aus Dessau, Deutschland und der ganzen Welt machen will.“

Die Eltern sind seit Freitag in Dessau, sie werden bis nächste Woche bleiben. Immer wieder waren sie in dem Zimmer von Yangjie Li in der Wohngemeinschaft.

Bei der Beräumung fanden sie auch das Tagebuch der 25-jährigen Studentin. „Kleine Mädchenträume. Die erste Liebe, Spannungen mit Kommilitonen, Versöhnung. Im Zimmer keine Hinweise auf ein ausschweifendes Leben“, so Lückmann.

Niemand im Umfeld könne sich die Ermordete „in der Weise vorstellen, wie die Staatsanwaltschaft sie nach Aussagen der mutmaßlichen Mörder dargestellt hat“.

Keine Antwort auf MZ-Anfrage

Lückmann geht es vor allem um Mitgefühl für die Familie. „Eltern wissen, was diese Eltern durchleiden müssen. Niemand möchte dieses unsägliche Schicksal mit ihnen teilen.“

Er selbst sei unendlich traurig über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Bisher habe es da auch keine Kontaktaufnahme oder eine Entschuldigung gegeben. Lückmann geht davon aus, dass die chinesische Botschaft zu diesem Vorgehen Fragen stellen wird.

Oberstaatsanwalt Folker Bittmann selbst äußert sich auf MZ-Anfrage nicht. Er ließ ausrichten, darüber nicht sprechen zu wollen. (mz)