Der Sternenforscher Der Sternenforscher: Matthias Richter stellt Lebenswerk seines Vaters vor

Dessau - Da waren der schwarze Koffer und eine schwarze Aktentasche. Jahrelang standen sie unbeachtet herum. „Die Mutter hatte sie mir in die Hand gedrückt“, erinnert sich Matthias Richter an das Jahr 1986. Gut 30 Jahre später aber hat Richter, der ehemalige Pfarrer der Kreuzgemeinde in Dessau-Süd, Licht ins Dunkel gebracht. Denn er hat sich auf die Spuren des Mannes begeben, von dem die Sachen stammen: Nikolaus Benjamin Richter.
Das Buch „Nikolaus Benjamin Richter - Astronom, Meteorologe, Geograph, Maler und Vater“ von Matthias Richter ist im Eigenverlang erschienen. Interessenten können sich schriftlich an Matthias Richter, Gutenbergstraße 13, 06842 Dessau, wenden. HTH
Wer war dieser Mann? „Astronom, Meteorologe, Geograph, Maller und Vater“, sagt Richter und hat ein gleichnamiges Buch über seinen Vater herausgegeben. Vorgestellt hat er das am Donnerstagabend, zahlreich bebildert, in der Astronomischen Station des Walter-Gropius-Gymnasiums. Der Ort wurde mit Bedacht gewählt, war Richter doch Forscher von Kometen und Galaxien und Direktor des Karl-Schwarzschild-Observatoriums in Tautenberg bei Jena.
Der Sohn selber ist kein Sternengucker geworden, hat sich vom Vater nicht anstecken lassen von der Faszination des Alls, sagt aber zum Inhalt des schwarzen Koffers: „Ich bin dankbar, dass ich das aufarbeiten konnte“. Denn darin hat Nikolaus Benjamin Richter, geboren 1910 in Neustädtel im Erzgebirge, zahlreiche Dokumente ab 1928 aufbewahrt. „60 Prozent hatte ich lückenlos Zuhause “, sagt Richter, 40 Prozent finden sich in Archiven. Sie erzählen über das Leben des Mannes, der einer von fünf Söhnen des Bürgermeisters Dr. Otto Hugo Benjamin Richter war.
„Aus allen Söhnen ist etwas geworden“, erzählt Matthias Richter und muss schmunzeln, wenn er von seinem Vater erzählt, der etwas anders als die anderen Jungen war. Und seine Eltern wohl auch auf eine Geduldsprobe stellte, als er auf das Dach des Neustädteler Rathauses mit einem Fernrohr seine eigenen Beobachtungsstation aufbaute. „Er hat ein Loch ins Dach gemacht“, sagt Richter und weiß, dass das astronomische Interesse seines Vaters sich bald herumsprach. Denn es hieß: „Geht zum Nikolaus und holt Euch den Mond und die Sterne durch das Fernrohr herunter“. Das wird Nikolaus Benjamin Richter auch noch tun, als er längst Direktor des Karl-Schwarzschild-Observatoriums in Tautenburg ist.
1928 bekommt der junge Mann aus Neustädtel Kontakt zu Cuno Hoffmeister, dem Leiter der Sternwarte Sonneberg, der ihn ein Leben lang begleiten wird. Richter studiert Astronomie in Göttingen und Leipzig und promoviert 1934 zum Thema „Untersuchungen über den Venusdurchmesser“. Mit Hoffmeister geht Richter auf eine erste Forschungsreise der Sternwarte Sonneberg, die zu Babelsberg gehört, nach Südamerika. Später wird Richter mehrmals in Libyen sein, wo er ab 1942 - mit dem Sonderkommando Dora im Auftrag der Wehrmacht - Erkundungen der Wüste vornimmt. Zu DDR-Zeiten gibt Richter das Buch „Unvergessliche Sahara“ heraus, auch ein Film entsteht. In der Wüste hat der Vater auch zahlreiche Aquarelle gemalt. Insgesamt, sagt sein Sohn Matthias Richter, sind 42 entstanden. Viele sind noch in Familienbesitz.
Nach dem Krieg baut Richter, verheiratet und Vater zweier Kinder, an der Sternwarte Sonneberg eine neue Existenz auf. Ab 1960 wird er erst Leiter, dann Direktor des Observatoriums Tautenberg bei Jena. Das trägt in seinem Herzen mit dem Zwei-Meter-Universal-Spiegelteleskop die damals größte Foto-Kamera der Welt. Für die Beobachtung von Kometen und Galaxien eröffnen sich ganz neue wissenschaftliche Möglichkeiten. Die DDR und die Deutsche Akademie der Wissenschaften, stellt Sohn Matthias Richter rückblickend fest, hatten unwahrscheinlich viel in die Astronomie investiert.
Der Vater unternimmt weitere Expeditionen, die ihn wieder nach Libyen führen. Insgesamt fünfmal wird er dort sein und unter anderem an der Krateroase Wau en-Namus geografische und klimatologisch-hydrologische Untersuchungen durchführen. Noch heute, so sein Sohn, ist seine topographische Karte ein Standardwerk.
1961, nach dem Mauerbau, ist es mit den Expeditionen vorbei. Erschwert wird auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem Westen Deutschlands, kann Matthias Richter in seinem Vortrag diese Zeit nur kurz streifen. Ein Beleg für die Schwierigkeiten ist der 1969 erzwungene Austritt von 47 DDR-Astronomen aus der Astronomischen Gesellschaft (Hamburg).
Der Vater wird diese Jahre später, so Matthias Richter, als „Jahre seiner Gefangenschaft“ bezeichnen. Zwar untersucht er extragalaktische Sternensysteme und erforscht Kometen, dringt in die Weiten des Kosmos vor, publiziert viele wissenschaftliche Arbeiten. Aber auf der Erde sind dem Wissenschaftler Grenzen gesetzt. Internationale Kontakte zu Kollegen kann er kaum pflegen. Das änderte sich erst, als er 1972 als Mitglied der Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ (Halle) berufen wird.
1975 geht Prof. Dr. Nikolaus Benjamin Richter in den Ruhestand, fünf Jahre später stirbt er. „Von der Akademie ist niemand zur Trauerfeier nach Jena gekommen“, stellt der Sohn bitter fest und ist froh, selbst beigetragen zu haben, das Andenken an seinen Vater mit seinem Buch wachzuhalten. (mz)
