Letzter Tag am 31. August Den Umbruch miterlebt: Nach fast 30 Jahren als Notar in Dessau geht Klaus-Peter Kramer in den Ruhestand
Was er zum Einigungsvertrag und von Warteschlangen erzählt.
Dessau/MZ - Drinnen im Büro wartete eine größere Gruppe auf die Unterzeichnung und vor allem auf den offensichtlich zu spät kommenden Oberbürgermeister. Es ging um viel, um die Gründung einer Gesellschaft. Draußen auf der Treppe wartete der damalige Oberbürgermeister Jürgen Neubert. Seine Personalien seien schon erfasst, sagte dieser, als ihn Klaus-Peter Kramer zufällig in der Schlange Wartender entdeckte. Aber man habe ihm gesagt, er solle warten. „Das hat der Oberbürgermeister prompt getan!“
Das ist nur eine Episode, die Klaus-Peter Kramer erzählt, wenn er auf fast 30 Jahre Notartätigkeit in Dessau zurückblickt. Was heute erheitert, ist nur ein Beispiel für die vielen kleinen Facetten des großen Umbruchs, der damals im Osten vollzogen wurde, und den Kramer mit gestaltet hat.
Er hatte sich im Dezember 1991 auf eine Notariatsstelle in Sachsen-Anhalt beworben. Magdeburg, Halle und Dessau seien für ihn als Arbeits- und Wohnort in Betracht gekommen, sagt er. Dessau unter anderem wegen des Bauhauses und des Gartenreichs.
Die Tätigkeit eines Notars in den neuen Bundesländern im Zuge der Wiedervereinigung reizte den damals 40-Jährigen
Dabei lief die von ihm 1980 gegründete Rechtsanwalts- und Notariatskanzlei im ostfriesischen Rhauderfehn, die er mit zwei weiteren Rechtsanwälten und Notaren betrieb, gut, es war eine große. Vor allem hatten er und seine Frau noch vier kleine Kinder. Tätigkeit und Familie sprachen somit für Bleiben in der Gemeinde in Niedersachsen.
Dennoch. Die Tätigkeit eines Notars in den neuen Bundesländern im Zuge der Wiedervereinigung reizte den damals 40-Jährigen. Zwar hatte er noch die Option, innerhalb von drei Jahren nach Rhauderfehn an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Doch für ihn war klar, dass das Amt und der damit verbundene Auftrag in Dessau von Dauer sein würden. Im Großen hieß diese Aufgabe Umsetzung des Einigungsvertrages, im Kleinen, Arbeit bis weit nach Mitternacht und Heizen von Kohleöfen.
In der Tornauer Straße 18 hatte er zwei gegenüberliegende Wohnungen angemietet, die Größe der Büros betrug 54 Quadratmeter
Am 1. April 1992 zum Notar ernannt, nahm Kramer seine Beurkundungstätigkeit knapp sechs Wochen später auf. In der Tornauer Straße 18 hatte er zwei gegenüberliegende Wohnungen angemietet, die Größe der Büros betrug 54 Quadratmeter, es gab noch Ofenheizung. „Aber wir hatten Telefon“, nennt Kramer einen damals sehr wichtigen Grund, der für diesen Standort sprach. In diesen Räumlichkeiten hat er bis zum November des Jahres mit vier Mitarbeiterinnen nicht nur sein eigenes Amt ausgeübt, sondern ab Juni 1992 auch die Verwaltung des damaligen Notariats Roßlau.
Wegen Platzmangels reihten sich die Mandanten vor dem Gebäude auf dem Bürgersteig in die Warteschlange ein, mussten die Beteiligten während der Beurkundung stehen und wurden die Urkunden auf einem Brett besiegelt, das auf einem Waschbecken montiert war. Oft noch nach Mitternacht. Allein die Urkunde zur Umwandlung des VEB Gebäudewirtschaft in ein städtisches Unternehmen habe die Dicke eines Schuhkartons, da wurde stundenlang beurkundet, erinnert er sich. Was Kramer beschreibt ist ein Transformationsprozess ohne Beispiel.
Rückblickend schätzt Kramer, dass diese Gesetze und Probleme mindestens seine ersten zehn Jahre in Dessau prägten
Einige Stichwörter nur: Einigungsvertrag mit seinen Ausführungsgesetzen, Vermögensgesetz, Rückgabe vor Entschädigung, Investitionsvorranggesetz, Vermögenszuordnungsgesetz, Bodenreform und - heute kaum vorstellbar - die Herstellung der Verkehrsfähigkeit solcher Immobilien, für die ein Grundbuch nicht angelegt war. Froh war Klaus-Peter Kramer deshalb auch, als sein Bruder Hans-Joachim Kramer, der inzwischen Notar in Gräfenhainichen ist, bei ihm die Büroleitung übernahm. Über die Adressen Wörlitzer Straße bis 1995 kam das Notariat in die Medicusstraße.
Rückblickend schätzt Kramer, dass diese Gesetze und Probleme mindestens seine ersten zehn Jahre in Dessau prägten. „Heute spielen sie nur noch gelegentlich eine Rolle“, konstatiert er. Mit der „zunehmenden Entbehrlichkeit“ sei auch die notarielle Praxis eine andere geworden. Sie dürfte sich seiner Meinung nach kaum noch von der in den sogenannten alten Bundesländern unterscheiden.
Dass bei ihm viele Notare und Notargehlifen ausgebildet wurden, „fast jedes Jahr zwei Leute über die ganze Zeit“, dass er 27 Jahre als ehrenamtlicher Richter im Notarsenat wirkte, das stellt er nicht in den Vordergrund. Für ihn gehört es zum Selbstverständnis und Erfolg, etwas mehr zu tun.
Wie wird Klaus-Peter Kramer nun seinen Ruhestand gestalten?
Nach insgesamt 38-jähriger Tätigkeit als Notar ist Klaus-Peter Kramer an seinem 70. Geburtstag aus seinem Amt des Notars ausgeschieden. Die geplante Abschiedsveranstaltung jedoch kann coronabedingt nicht stattfinden. Kramer hat sich deshalb in einem Brief bedankt. Bei vielen. Denn von Anfang an, sagt er und weiß das zu schätzen, wurde ihm „von der Bevölkerung, aber auch von der Öffentlichkeit und privaten Institutionen ein erhebliches Vertrauen entgegengebracht“.
Wie er seinen Ruhestand gestaltet? Die Familie, die eine große ist, wird dazu gehören. Dann haben seine Ehefrau und er in Dessau sehr viele Freunde und Bekannte gewonnen und Klaus-Peter Kramer ist Mitglied im Rotary Club, bei den Freunden der Stiftung Bauhaus Dessau und den Freunden des Gartenreichs, im Kunstverein, im Wasserturm- und im Mausoleumsverein.
Das bisherige Notariat Kramer wird von Nicole Hannemann in den gleichen Räumlichkeiten in der Medicusstraße fortgeführt.