Chirurg mit Leib und Seele legt Skalpell nieder
DESSAU/MZ. - Da reihen sich am Lechner Baupark in tiefster Dunkelheit die Fahrzeuge in die Parkordnung, da wird im Erdgeschoss-Foyer Sekt oder Selters gereicht, dann geht's im langen Defilee treppauf. Hier empfangen Doris und Dr. Heinz-Jürgen Tute ihre Gäste in großer Zahl. Anlass ist die Aufgabe der Chirurgischen Praxis und Tagesklinik von Dr. Tute zum 2. Januar 2010 und die Vorstellung seines Nachfolgers. Ausdrücklicher Wunsch vor allem aber ist das Wiedersehen mit Begleitern und Weggefährten aus vier Jahrzehnten. Viel beschäftigte Mediziner und niedergelassene Ärzte, sie begegnen einander sonst nur eher zufällig. "Ach ja, die Fortbildung" - sind Stoßseufzer an den Tischen zu hören. Nun also mal ein "Ausstand".
Mit Dr. Heinz-Jürgen Tute nimmt einer der bekanntesten und renommiertesten Fachärzte für Chirurgie in Dessau-Roßlau und der Region seinen Abschied. Vier Jahrzehnte lang hat der Mediziner in verschiedenen Häusern praktiziert und operiert, geleitet und organisiert. Vor der großen Runde der Weggefährten, Mitarbeiter, Kollegen, Helfer und Freunde lässt der Gastgeber noch einmal sein inzwischen 68-jähriges Leben Revue passieren.
Geboren im Sudetengau Leitzmaritz (Litomerice in Tschechien) strandete die 1946 nach dem Weltkrieg ausgewiesene Familie in Aschersleben, wo Heinz seine Jugend verlebte und das Abitur in Halle machte. Das Examen nach dem Medizinstudium schloss Tute 1968 ab, reichte im Folgejahr die Promotionsarbeit ein und konnte seinem Namen ab 1969 den "Dr. med." voranstellen.
Wenngleich das staatliche Gesundheitswesen nach Allgemeinmedizinern rief, verdiente sich der junge Arzt die ersten Sporen im Kreiskrankenhaus Eisleben. "Ich entwickelte ein gehöriges Sendungsbewusstsein für die Chirurgie", schob Dr. Tute Dienste auf allen Stationen. "Lernen wollte ich von der Pike auf", erinnert sich der Arzt unter dem Schmunzeln im Auditorium, als er zum ersten Mal in den OP durfte. Eine Galle war's und für Heinz-Jürgen Tute das Größte.
Der Wechsel ins Bezirkskrankenhaus Dessau nach lehrreichen Jahren in Eisleben kam für Dr. Tute gleich als Doppel. Denn seine Eisleber OP-Schwester Doris stand jetzt auch privat an seiner Seite. Und sie war es, die das damalige Bezirkskrankenhaus Dessau unbedingt verpflichten wollte. "Und da musste das BKH den Mann eben als 'Anhängsel' mitnehmen." Vor einer Facharztausbildung aber war eine lange Warteschleife ambulanter Dienste zu absolvieren: in der Poliklinik Süd, in der Poli Nord. Nach einem Jahr erst durfte wieder von der Chirurgie geträumt und der OP betreten werden. 1973 dann war die Ausbildung zum Facharzt Chirurgie geschafft, gehörte Dr. Tute zum Team um Chefarzt und Professor Herbert Wendt, unter dessen Ägide Tute dann Oberarzt auf der Chirurgischen wird. Ein Jahrzehnt folgt mit harten Diensten. Auch wenn die Bedingungen in den 70er Jahren schwer waren, "die Dessauer Truppe hat zusammengehalten." Kollegen werden Freunde.
Fachlich entwickelt Dr. Tute nun Blick und Gespür fürs Spezielle, wendet sich der arteriellen Gefäßchirurgie zu. Nun kommen die Kollegen, um zu hospitieren bei einer "Tute-Op". Der Name hat Klang. In der Fachwelt ebenso wie bei den Patienten, von 1986 auch im Kreiskrankenhaus Roßlau, wo sich der Arzt mit der Tumorchirurgie ein nächstes Spezialfach erschließt.
Die längste Zeit eines 40-jährigen Arbeitslebens aber gehört dem niedergelassenen Arzt. Seit 1993 bietet der Facharzt in seiner Chirurgischen Praxis und Tagesklinik ambulantes Operieren an, zuerst zehn Jahre in der Ackerstraße, seit 2003 dann im Turm vom Lechner-Baupark. In diesen 16 Jahren haben sich fast 20 000 Patienten in der Tagesklinik ambulant operieren lassen. Die Klinik läuft fast als Familienbetrieb: Ehefrau Doris Tute reicht als OP-Schwester die Instrumente, Sohn Hennig betreut die Patienten als Krankenpfleger. Die Leistungen erstrecken sich von Krampfaderoperationen und Eingriffen bei Leisten-, Nabel- oder Narbenbrüchen bei Kindern sowie Erwachsenen über Eingriffe bei Hämorrhoiden und Polypen, bis hin zu Herzschrittmacher-Implantationen und Operationen bei gutartigen und bösartigen Brusttumoren. Operiert wird sowohl in Vollnarkose als auch in Lokalanästhesie.
Zum Januar nun legt der Operateur das Skalpell aus der Hand. Die Praxis übernimmt Dr. Erik Simon, Oberarzt für Traumatologie und Handchirurgie vom Klinikum. Eine ganze Liste von Operations-Anmeldungen hat Dr. Tute seinem Nachfolger in die Hand gedrückt. Er selbst will sich in der "Zeit danach" Zeit nehmen für eine alte Leidenschaft und wieder aufs Rad steigen. Nicht auf ein City-Rad oder Mountainbike. Tutes Ehrgeiz ist ein Rennrad. Als er am Freitag ein Modell präsentiert, gibt's spöttische Kommentare: Der Sattel sei schlecht. Sieht ein Urologe da etwa seinen nächsten Patienten?