War Stadt früher bebaut als gedacht? Ausgrabungen für neue Synagoge in Dessau mit Überraschungen - Kitschige Marienstatute entdeckt
Dessau/MZ - Die Geschichte Dessaus muss teilweise neu geschrieben werden. Diesen Befund lieferten Ausgrabungen auf der Baustelle der neuen Dessauer Synagoge in der Askanischen Straße. Nach diesen ist die sogenannte Sandvorstadt südlich des Zentrums bereits Anfang des 15. Jahrhunderts bebaut gewesen. Die bislang ältesten bekannten Belege für eine Besiedlung stammten aus dem 16. Jahrhundert.
Brennofen aus der Zeit von 1400 in Dessau freigelegt
Dieses Ergebnis präsentierte am Mittwoch Madeleine Fröhlich, Grabungsleiterin des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, bei einem Besuch von Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) und Oberbürgermeister Peter Kuras an der Baustelle. Sie und ihre Kollegen hatten in der Baugrube einen Brennofen aus der Zeit von 1400 freilegen können.
Für längere Zeit wurde das Areal nach verheerenden Mulde- und Elbehochwässern zu Beginn des 15. Jahrhunderts nicht mehr bebaut. Der Einfluss der Fluten auf die Stadtentwicklung zeichnete sich auch an anderen Stellen ab. So wurden Burganlagen entlang der Flüsse in Folge der Fluten aufgegeben.
Dass die Dessauer Entdeckung überhaupt möglich war, ist einem für Planer und Bauherren eher ärgerlichen Umstand geschuldet. Der Synagogen-Untergrund nämlich bestand aus Kriegsschutt, war nicht tragfähig und musste tief ausgekoffert werden.
Zu den Fundstücken gehört auch eine kitschige Marienstatue aus Lourdes von Anfang des 20. Jahrhunderts, ein Accessoire aus einem katholischen Haushalt. Für Oberbürgermeister Kuras ein Beleg, dass das Miteinander der Religionsgemeinschaften in dieser Zeit selbstverständlich war. Aber nicht blieb. Haseloff erinnerte an den „Abbruch der liberalen Tradition in Dessau“, wo bereits im Jahr 1932 die Nazis durch Wahlen an die Macht kamen. Kuras meinte, je mehr man über diese Zeit lese, desto schlimmer werde es. „An der Reichskristallnacht haben sich eben nicht nur SA-Schergen beteiligt, sondern auch ganz normale Bürger.“
Vor dieser Geschichte habe er, Kuras, es sich nie vorstellen können, es jemals wieder mit Nazis zu tun zu haben. Ein Irrtum. Andererseits widersprach er dem Vorurteil von Ostdeutschland als Dunkeldeutschland. Kuras erinnerte daran, dass Dessau-Roßlaus Stadtrat den Bau der Synagoge einstimmig beschlossen habe, was selten vorkomme.
Der Entwurf der Dessauer Synagoge stammt von Alfred Jacoby, emeritierter Professor an der Hochschule Anhalt. Er hat bereits mehrere Synagogen in Deutschland geplant und eine in den USA. Mit dem historischen Gebäude von 1908 hat der Neubau aber nichts zu tun. Die Gestalt der Synagoge lehnt sich vielmehr an eine Thorarolle an.
Baupreise sind gestiegen - mit Folgen für die Finanzierung der Synagoge Dessau
Bei den Abbrucharbeiten im Kantorhaus habe man einige „nette Überraschungen“ erlebt, die zusätzlichen Aufwand erforderten, so Jacoby. Neben solchen Unwägbarkeiten baulicher Art steht die Gemeinde wie alle Bauherren vor einer weiteren Herausforderung - die Baupreise sind während der vergangenen Monate ständig gestiegen. Jacoby schilderte die neuen Bräuche der Baubranche am Rande der Baugrube: Angebote gelten manchmal nur fünf Tage, Preisgleitklauseln sind inbegriffen. Dann heiße es, „unterschreiben Sie hier oder lassen sie es bleiben“.
Die zuletzt offiziell veranschlagten 1,9 Millionen Euro Baukosten dürften so kaum zu halten sein. Das Geld stammt vom Bund, dem Land, der Stadt, vom Zentralrat der Juden, der jüdischen Gemeinde und aus Spenden. Jacoby zufolge soll der Rohbau Ende des Jahres fertiggestellt sein.