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Artenschutz in Dessau Artenschutz in Dessau: Die Heimkehr der Elbebiber

Von Silvia Bürkmann 05.06.2015, 07:12
Ein Biber im Reservat in Oranienbaum-Wörlitz.
Ein Biber im Reservat in Oranienbaum-Wörlitz. Klitzsch Lizenz

Dessau - Es ist gut 50 Jahre her. Später Abend. Jürgen Stephan hat sein Tagwerk als Leiter in der Staatlichen Tierarztpraxis Dessau II abgeschlossen. Zuhause aber klingelt das Telefon hastig. Ein aufgeregter Anrufer erbittet sofortige Hilfe vom Tierarzt: „Herr Doktor, wir haben hier einen Biber. Bitte kommen Sie schnell!“ In Raumers Stillingen bei Törten hatten Kollegen der Oberförsterei Haideburg ein Schwer verletztes Tier in einem Fangeisen gefunden. Das Eisen, eine starke Fuchsfalle, war an einen Baum gekettet und stoppte den Fluchtversuch des Nagers, der zu ertrinken drohte. Revierförster Franz Abendroth (1902-1978) befreite das Tier, konnte es aber nicht wieder auf die freie Wildbahn lassen: Die Schlagfalle hatte die linke Vorderhand des Tieres zertrümmert, das Bein hing nur noch an Sehnen und Hautfetzen. Die Forstkollegen brachten den todkranken Biber zum Tier- und Lehrpark.

Tierarzt wurde alarmiert

Der damalige Tierparkleiter Erwin Meyer alarmierte den jungen Tierarzt Jürgen Stephan. Dessen Ankunft im Querweg wurde sehnsüchtig erwartet, vom Direktor und dem Sohn des Revierförsters. Lutz Abendroth war Flussmeister in der Wasserwirtschaft Wittenberg und ehrenamtlicher Naturschutzhelfer bei den „Biberfreunden“. „Beide Männer hatten den etwa 25 Kilo schweren Bibermann auf den Tisch gewuchtet und fixiert, damit er seine Helfer nicht mit den großen, scharfen Nagezähnen attackieren konnte“, erinnert sich Jürgen Stephan ein halbes Jahrhundert später. Der promovierte junge Veterinär - geboren 1938 in Leipzig - entschied sich für die Amputation des Vorderbeins. Am 22. Mai 1965 gelang in Dessau erstmals eine solche Operation an einem der zur Seltenheit gewordenen echten Elbebiber (Castor fiber albicus) und wurde dokumentiert.

Danach begann eine regelrechte Krankenpflege: „Bibervater“ Franz und Sohn Lutz Abendroth gaben wichtige Hinweise zur Unterbringung und Ernährung des pelzigen Patienten. Der Frischoperierte bekam ein Strohlager in einem kleinen Stall. Daneben wurden Wasserschüssel und Futternapf aufgebaut. Und verschmäht! In den ersten Tagen und Nächten war der Allgemeinzustand des Tieres sehr schlecht. Doch die Wunde verheilte gut und hatte sich, dank der umsichtigen Gabe von Antibiotika, nicht entzündet. Am 8. Tag platzte der Knoten und der Biber entschied sich für das Leben. Und fraß wieder. Jetzt erhielt er aus der Futterküche in Längsrichtung gespaltene Mohrrüben, da er ja nicht mehr seine Nahrung wie sonst arttypisch in beiden Vorderhänden festhalten konnte.

Nach und nach folgten Leckerbissen in Form von Espen-, Obstbaum- und Lindenreisig, Futterrüben und Äpfel. Nebst Kalmuswurzeln zur geregelten Verdauung. Der etwa vierjährige Bibermann erholte sich zusehends, humpelte in seinem Ställchen umher und machte sich eines Morgens daran, die Bretterverschalung mit seinen Nage- zähnen zu bearbeiten. „Jetzt war die Zeit gekommen, ein größeres Gehege frei zu machen, in dem ihm ausreichend Wasseraufenthalt möglich war.

Heute ist dank des Einsatzes von staatlichen Stellen, Naturschutzbehörden und -initiativen sowie vieler freiwilliger Helfer der Elbebiber vor dem Aussterben gerettet. Deutschlandweit leben heute wieder etwa 20000 Tiere in freier Natur, zum Teil vermischt mit den aus Canada geholten, etwas kleineren Kanadischen oder Amerikanischen Bibern (Castor canadensis).

Von rund 8000 Elbebibern leben etwa 1500 Tiere innerhalb des Biosphärenreservates Mittelelbe, wo sie ihren Lebensraum ungestört nutzen und selbst gestalten. Elbebiber wurden europaweit zum Exportschlager und in längst verlassene Gebiete umgesiedelt.

Die Dynamik der Population birgt inzwischen Konfliktpotenzial und lässt den Ruf nach einem „Bibermanagement“ nebst Bestandskontrolle erschallen. Der neue Stellenwert des Zusammenlebens von Mensch und Biber, mit schwindender Toleranz auf menschlicher Seite, wurde daher auch zum Gegenstand der „Nationalen Bibertagung.

Zur Fachtagung hatten die Biberfreunde um den profilierten Dessauer Experten Karl-Andreas Nitsche im Mai 2014 eingeladen. Nach Dessau-Roßlau, wo die Biberforschung vor über 100 Jahren ihren Anfang nahm, der Biberschutz ins Leben gerufen wurde und die Wiederverbreitung des größten europäischen Nagetiers begann. (sib)

Außerdem konnten nun starke Laubeichenholzstämme über 15 Zentimeter Durchmesser gereicht werden. Deren Zerkleinerung ist für die Abnutzung der laufend nachwachsenden Nagezähne notwendig“, erinnerte sich Bibervater Franz Abendroth im Dessauer Kalender von 1966 (Revierförster Franz Abendroth: „Das Frühjahrshochwasser 1965 und das Verhalten der Biber auf der Elbe im Raum Dessau“)

Der gerettete Biber wurde im Tierpark ins Nutria-Gelände umgesetzt, lernte dort Schwimmen und Tauchen neu. „Zur damaligen Zeit“, blickt Dr. Jürgen Stephan zurück, „war ein Elbebiber absolut außergewöhnlich und vom Aussterben bedroht.“ Es gab damals nur noch etwa 200 Elbebiber in kleinen Restbeständen am Mittellauf der Elbe zwischen Torgau und Magdeburg, einschließlich der Unterläufe von Saale, Mulde und Schwarzer Elster.

Da in Dessau damals aber keine art- und tierschutzgerechte Unterbringung für einen invaliden Castor fiber albicus möglich war und er auf drei Beinen keine Überlebenschance in „freier Wildbahn“ hatte, haben sich die Dessauer Biberfreunde schweren Herzens entschlossen, ihr „Humpelchen“ in den berühmten Zoo von Stephans Heimatstadt Leipzig abzugeben.

Biber überlebte noch zwei Jahre

„Wie mir später mein Schulfreund Harry Schunke mitteilte, der im Leipziger Zooverein mitarbeitete, hat unser Biber noch zwei Jahre in Leipzig gut gelebt“, freut sich Jürgen Stephan noch 50 Jahre später. Auch darüber, einen kleinen Anteil bei den Dessauer Biberfreunden geleistet zu haben, dass Sachsen-Anhalt auf diesem Gebiet im Deutschlandvergleich Spitze wurde: „Die Bewahrung des Elbebibers vor dem Aussterben ist ein Verdienst von Menschen unserer Region“, ist Stephan stolz. (mz)