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Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 (2 Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 (2): Nach Denunziation wird Unbeteiligter verhaftet

11.06.2003, 17:20

Coswig/MZ/cb. - Am 17. Juni jährt sich zum 50. Mal der Tag des Arbeiteraufstandes in der DDR. Mario Pinkert aus Dessau hat bei Recherchen für sein Buch "Das Gerichtsgefängnis zu Dessau" im Landesarchiv Merseburg zwei Berichte der Politabteilung der im Coswiger Schloss untergebrachten Strafvollzugsanstalt vom 17. / 18. Juni 1953 gefunden. Die MZ veröffentlicht die Dokumente auszugsweise in drei Folgen. Es handelt sich um den Bestand BDVP Halle Nr. 19 / 706, Blätter 80 bis 98 des Landesarchivs Merseburg:

"Während dieser Unterhaltung vor dem Coswiger Rathaus wurde ich plötzlich von einer Gruppe eingekreist. ,Geh weg, sonst kriegste die Jacke voll', sagten sie zu mir. Ein Mann mit Namen P. fasste mich am Jackett und sagte: ,Du bist wohl auch einer von den Roten, wo ist denn dein Parteiabzeichen?'

In diesem Moment kam die Rote Armee, welche vor dem VP-Revier abstieg. ,Das habt ihr nun davon, dass jetzt die Rote Armee eingreifen muss', machte ich die Gruppe aufmerksam. Doch einer von ihnen rief: ,Runter mit dem Gelumpe, wir reißen vom Rathaus alles herunter!' Damit meinte er die Transparente und Plakate. Ich war so bedrängt, dass ich mir nur zwei Personen aus dieser Gruppe merkte, den P. und einen im karierten Hemd.

Die Ansammlung der Menschen vor dem Rathaus wurde immer größer. Ich sah ein, dass ich mich auf dem schnellsten Weg zurückziehen muss. Den im karierten Hemd verfolgte ich aber bis zu einer Wohnung. Ich setzte die Anstaltsleitung davon in Kenntnis und teilte auch mit, in welcher Situation ich mich befand. Politstellvertreter sowie Anstaltsleiter setzten VP-Meister S. davon in Kenntnis. Am gleichen Abend wurde P. und aus Versehen der Schwiegervater von dem im karierten Hemd verhaftet. Ich sah durch den Spion der Zelle und erkannte, dass es nicht der Richtige ist. Ich setzte den VP-Kommissar... davon in Kenntnis. Der holte den Schwiegervater heraus."

Der Mann im karierten Hemd hatte am 17. Juni seinen Schwiegervater besucht und die Wohnung schon wieder verlassen, als die vom Berichterstatter alarmierte Polizei eintraf. Die verhaftete deshalb den Schwiegervater.

"Ich begab mich mit ihm zur Wohnung und sah mir Bilder an, auf denen ich den Gesuchten aber nicht fand. Ich fragte seine Frau nach dem Schwiegersohn. Sie antwortete, er arbeite in der Roßlauer Schiffswerft und würde gegen 17.15 Uhr von der Arbeit kommen. Die Frau sagte noch: ,Hoffentlich ist er es nicht. Er hat drei Kinder, und das vierte ist unterwegs.' Ich antwortete der Frau, die auch Genossin ist, wenn ihr Schwiegersohn es war, soll er die volle Wahrheit sagen und zu seinen Fehlern stehen."

Am 18. Juni war den Behörden in Coswig noch nicht bekannt, wer hier der "Hauptanführer" des "Aufstandes" war. Gegen 17 Uhr ging der Berichterstatter zum Bahnhof und wartete auf den aus Roßlau kommenden Zug. Er verfolgte den Mann im karierten Hemd. In der Wohnung "fragte ich ihn, wie er über sein gestriges Verhalten denkt und forderte ihn auf, mit zur Kriminalpolizei zu kommen."

Der Mann im karierten Hemd gab bei der Polizei einige Namen von Personen preis, die den Berichterstatter vor dem Coswiger Rathaus bedroht hatten. Nach dem Verhör konnte er nach Hause gehen. Die Polizei verhaftete am Abend des 18. Juni 1953 unter anderem Walter N. aus der Ackerstraße 48 a, der im Verhör ebenfalls als Aufrührer genannt worden war, und brachte ihn ins Coswiger Gefängnis. "Später stellte ich fest, dass N. ein ehemaliger FDJ-Sekretär des Kreises Zerbst war, dass er später Betriebsgruppensekretär in der Lehrlingsausbildung der Schiffswerft Roßlau gewesen ist und wegen bestimmter Vorkommnisse in die Produktion zurückversetzt wurde."

Der Mann im karierten Hemd wurde am 18. Juni gegen 23.50 Uhr noch einmal zur Vernehmung ins Polizeirevier geholt. Hier bestätigte er, dass der ebenfalls verhaftete P. dem Berichterstatter vor dem Rathaus Schläge angedroht hatte.

"Die allgemeine Stimmung unter den VP-Genossen ist als positiv zu werten. In jedem Gespräch stellte ich fest, dass die Genossen zu unserer Sache, zur Erhaltung des Friedens stehen und bei der Vernichtung der Provokateure mithelfen werden... Jeder einzelne Genosse unserer Dienststelle wird seine revolutionäre Wachsamkeit noch mehr wie bisher verstärken."

E. VP-Hauptwachtmeister

(wird fortgesetzt)

Ein Beitrag über die Ereignisse am 17. Juni 1953 erschien im "Zerbster Heimatkalender 2003", ISBN 3-9807104-6-7.

Die Broschüre "Das Gerichtsgefängnis zu Dessau" von Mario Pinkert ist im Pressezentrum Kinzel in Dessau, Zerbster Straße, erhältlich.