Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: Thiele ist seit 42 Jahren dabei
DESSAU/MZ - „Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern“, des Vaters ruheloser Geist? Zuletzt jedenfalls gab er den Widersacher zum Kurt-Weill-Fest im Oratorium „Die Verheißung“.
Beinah lautlos wurde Schauspieler Karl Thiele im Februar 65 Jahre alt - und der Vorhang bleibt offen. 1971 kam er direkt von der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg nach Dessau und blieb. Wie damals usus, wurden Schauspiel-Absolventen sorgsam verplant. Thiele tauschte seine Stelle in spe am Jugendtheater in Berlin mit einem Kommilitonen, unterschrieb in Dessau und bekam wenig später ein Angebot der Volksbühne Berlin. Eine verpasste Gelegenheit? Nun, er habe sich frei spielen wollen - und spielte und spielte, 160 Rollen und nicht eine Rolle ein zweites Mal.
42 Jahre an einem Haus, das erscheint in der heutigen Theaterlandschaft als ein kurioses Relikt. Wie kam es, dass er blieb, ein- bis vielleicht zweimal lebenslänglich?
Die Arbeit, sagt Thiele, sei immer abwechslungsreich gewesen, er sei in die Verantwortung hinein gewachsen, und dann gab es hier die privaten Bindungen, auch und gerade in der schweren Zeit. Und vielleicht wäre er nie ein Großstädter geworden?
Thiele kam vom Land. Der Weg schien gezeichnet. Bauingenieur sollte er werden, die väterliche Firma übernehmen. Die Enteignung des Bauunternehmens stoppte diesen Weg.
Verantwortung übernahm Thiele vor der Ära Helmut Straßburger und dem Wirken von Herbert Olschok. Zweimal von 1989 bis 1992 und von 2002 bis 2005 war er Leiter des Schauspielensembles, kein Schauspieldirektor, eher, so Thiele, „ein Interims-Herrscher, ein Hausregisseur vielleicht“.
Von Anfang an hat er inszeniert, zuerst 1973 im Majakowski-Haus, „Die letzte Seite im Tagebuch“, eine Bühnenfassung des Hörspiels von Gisela Steineckert, die Geschichte einer Schülerin, die keinen Ausweg sieht, nur den aus dem Leben. „Man sagt mir ja nach, ein wenig von Schwermut getragen zu sein“, sagt Thiele lächelnd. Seine vorerst letzte Regiearbeit sprach eine andere Sprache. „Der Leopold war eine Offerte an das Jubiläum Anhalt 800“, eine anekdotische, an Karl May orientierte. Darf man, könnte im Umkehrschluss zur gegenwärtigen Diskussion um die „Junkers-Saga“ gefragt werden, eine historische Person, einen Kriegsherren, positiv überzeichnen? Ja, sagt Thiele. Wenn deutlich werde, dass hier nicht der Historiker rede. Und der unter den Teppich gekehrte Mord Leopolds an seinem vermeintlichen Nebenbuhler Johann Heinrich Grätz läge schon lange in seiner Schublade.
„Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag.“ Thiele zitiert Goethe, spricht von der „Kunst des Augenblicks: „Theater ist wie Feuer, das lodert nur in dem Moment, wenn man das Holz hinein legt.“ Was man hinein legt, sei das Entscheidende. Strohfeuer und Stinkbomben seien seine Sache nicht. Zurück bliebe in jedem Fall Asche. Aber man erinnert sich doch an diesen weinenden Gott in der offenen Tür der Bauhaus-Bühne, an Christine Lindemer in „Draußen vor der Tür“. Wolfgang Borcherts Stück inszenierte Thiele 1996 noch einmal am Landestheater Detmold, eingeladen vom einstigen Weggefährten Ulf Reiher, der, ein Schwager von Armin Müller-Stahl, in den Unruhen um die Biermann-Ausbürgerung vom Intendantenstuhl in Halle als Regisseur nach Dessau kam.
Die erste große Filmrolle spielte Thiele 1970 in die „Rottenknechte“, Regie Frank Beyer. Es geht um die Erschießung von deutschen Deserteuren nach der Kapitulation. NS-Aufarbeitung, die, so Thiele, über das gängige DDR-Maß hinaus reichte - und nun als DVD wieder aufgelegt werde. Seine vorerst letzte Rolle führte wieder zu einer Begegnung mit Beyer: „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Harald Juhnke, Rolf Hoppe, und Bulke mimte Thiele. Dessen Rollen passen in keinen Text: Posa, Homburg, Hitler, Peachum usw. „Theater ist das Spielen aller Möglichkeiten des Lebens“, sagt Thiele. Und vielleicht auch des Unmöglichen.
„Setz' deinen Fuß auf ellenhohe Socken“: 13 Jahre war Thiele in der Straßburger-Inszenierung von „Faust I“ und „Faust II“ Mephistopheles. Er, Thiele, habe die Wahl gehabt und sich gegen Faust und für Mephisto entschieden. Gebrochene Helden habe er schon zur Genüge gespielt. Die alten Tage klingen dennoch an, die „Marienbader Elegie“ und das Resümee des alten Faust, dieses, Thiele scheint es vom Tisch zu raffen, „große noch einmal“ - alles wollen.