Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: Der neue Kapitän setzt die Segel
Halle/MZ. - Er ist ein Kapitän zurSee. Wer hätte das gedacht. EinTänzer und Hochseesegler. Einerder durch die Luft schwebt undüber das Wasser gleitet. Und jetzthat er einen neuen Hafen gefunden. Der heißt Dessau, Anhaltisches Theater, und ist mehr als nurein Kai fürs Be- und Entladen undWeiterfahren. Gregor Seyffertnimmt sich Zeit für einen Landgang und das ist mehr, als er bisher
in anderen Orten tat. Er wird ab nächster Spielzeit neuer künstlerische Leiter des Dessauer Balletts - das heißt dann Gregor Seyffert & Compagnie Dessau / Anhaltisches Theater und rekrutiert sich aus einem festen Stamm von Tänzern in der Muldestadt und solchen, die - je nach Bedarf und Größe der Produktionen - von der Seyffert Compagnie Berlin hinzu kommen.
Das kann eine tanzkräftige Mannschaft werden, die - und das weiß der Kapitän - in Dessau auf ein Publikum trifft, dass sich gerne entern lässt. Seyffert schaffte dies bereits 1986. Da ertanzte er sich beim Dessauer Ballettwettbewerb seine erste Goldmedaille. "Den Täter zieht es immer wieder an den Tatort zurück", freut sich denn auch Joachim Landgraf, der Verwaltungschef, im Restaurant des Theaters. Dorthin hatte man geladen, um den Dessauern die Ballettvorhaben der Zukunft zu präsentieren.
Doch der Dessauer will erobert werden und macht es Neuankömmlingen deshalb nicht immer leicht. Gesunde Skepsis ist gut, stures Beharren auf Altem zeugt indes von einer Verschlossenheit, die verhindert, die Augen für Neues zu öffnen. Es ist vielleicht alles ein wenig zu neu, was dem zumeist älterem Publikum an diesem Sonntag vorgestellt wird. Ein kurzer Filmausschnitt mit wunderschönen aber für manches Auge auch verstörenden Szenen des Tanzes und dann die Stücktitel der kommenden beiden Spielzeiten: "Dornröschen" und "Landschaft mit Schatten" in der ersten Saison, "Der kleine Prinz" und ein Ballett über den Marquis de Sade im Jahr darauf.
Das klingt nach einer anderen Kost, als sie die Dessauer von ihrem bisherigen Chefchoreographen Gonzalo Galguera gewohnt sind. Und so geraten erste Zuschaueranfragen zu Grabesreden auf den Gehenden, die im Beisein des Neuen reichlich unsensibel sind. "Herr Galguera verlässt auf eigenen Wunsch das Theater, und wir haben dies zu respektieren", bemerkt Joachim Landgraf ganz richtig. "Ich wünsche mir, dass sie offen und interessiert sind gegenüber dem, was uns künftig erwartet." Zumindest eine Zuschauerin ist es bereits und tut dies kund. "Ich mochte Galgueras Arbeiten sehr, Arila Siegert war vortrefflich. Aber nun freue ich mich sehr auf Gregor Seyffert", sagt Beate Kühn. Großer Beifall und einige Bravi vom Ballettensemble ziehen den Schlussstrich unter eine unschöne Diskussion. Denn fast hätte man vergessen, dass es neben diesem Schlagabtausch noch Interessanteres zu erfahren gibt: von Seyffert und seinem Gast Jan Linkens, den er mit auf das Podium brachte.
Eine Choreographie von Linkensist die zweite große Ballettproduktion der kommenden Spielzeit:"Dornröschen". Dieses Stück wieauch "Landschaft mit Schatten",das am 1. Oktober Premiere habenwird, sind keine Uraufführungen,was der knappen Zeit seit Vertragsabschluss mit Seyffert geschuldetist. Das muss nicht schlecht sein.
Denn hauptstadterprobt überzeugten beide Inszenierungen bereits Kritik und Publikum in Berlin. "Dornröschen" ist Linkens Abschiedsproduktion von der Komischen Oper Berlin, deren Ballettchef er über mehrere Jahre war. "Mit einer Mischung aus schräger Travestie, derbem Volkstheaterwitz, opulenter Ausstattung und feinem Gespür für die psychologischen und archetypischen Motive des Dornröschen-Stoffes ist Jan Linkens...der große Wurf geglückt...", schrieb nach der Premiere die Berliner Zeitung. Euphorisch besprach man auch "Landschaft mit Schatten", eine Produktion von Seyfferts Berliner Compagnie, in der auch Dessaus Solistin Emma-Jane Morton tanzte. "Es ist ein kraftvolles, emotionales und modernes Stück", sagt Seyffert über die Arbeit des spanischen Choreographen Juan Carlos Garcia.
Eine "melancholisch-heitere Parabel auf das Leben" nennt Seyffert hingegen Antoine de Saint Exuperys "Der kleine Prinz". Er wird in der übernächsten Spielzeit die Dessauer Bühne betreten, womit sich für Seyffert ein lang gehegter Wunsch erfüllt. "Diese Geschichte hat mich von jeher fasziniert", sagt er. Die des Marquis de Sade nicht minder. Und auch dieser ist dem Neuen in Dessau ein Stück wert. "Sie in der ersten Reihe gucken mich so entsetzt an", registriert nicht nur Seyffert. Vielleicht weicht dieser Blick bei den späteren Aufführungen Erstaunen. Denn Seyffert will den Widerspruch dieses Mannes, dessen Name mit "schauerlichen Geschichten" besetzt ist, der aber auch als großer Philosoph gilt, auf der Bühne mit Mitteln des Tanzes lösen.
Ob er diese beiden Stücke selbst choreographieren wird, sagt Seyffert an diesem Vormittag in Dessau nicht. "Sie hatten bisher einen hochtalentierten Chefchoreographen und bekommen jetzt einen einigermaßen talentierten Tänzer", stapelt der als weltbester Tänzer Ausgezeichnete in eigener Sache tief. "Ich beginne jetzt erst im Bereich der Choreographie meine ersten Erfahrungen zu sammeln." Die Dessauer werden künftig diejenigen sein, die den Tänzer dabei beobachten können, wenn er als Kapitän zu neuen Ufern aufbricht.