Anhaltische Gemäldegalerie Anhaltische Gemäldegalerie: Niederländer legen den Horizont tiefer
Dessau/MZ. - Wolfram Morath-Vogel vom Angermuseum Erfurt fragte in seinem Eröffnungsvortrag nach den historischen Prämissen "der naturgetreuen Bildwiedergabe" der Niederländer. Ein Erbe der Renaissance mit ihrer "wechselseitigen Inanspruchnahme von realer Naturbetrachtung und idealem Weltbild" sei in der frühneuzeitlichen Landschaftskonzeption "eine ständige Vermischung der Spähren". Scheinbar reale Landschaften und Mythen interpretieren sich wechselseitig.
In der Reformation sei dann vieles auseinander getreten, was vorher zusammen gedacht worden sei. Die niederländische Naturnachahmung habe ihre Identität erst auf calvinistischer Grundlage erlangt. Der Reformator forderte, nur das zu malen, was "man mit dem irdischen Auge sehen kann", worauf die niederländische Vielfalt alltäglicher Motive zurückzuführen sei.
Auch die "Tieferlegung des Horizonts" entspräche der spirituellen Reduktion. In den Überblickslandschaften des flämischen Manirismus sei aus einer "imaginären Perspektive des Kreators" auf die Welt geblickt worden. Der niederländische Maler habe dagegen die "Perspektive der Kreatur" eingenommen. Gleichsam verweise die "enzyklopädische Dimension" der Motive auf eine mitgedachte Ordnung.
Der Eröffnungsvortrag beugt sich nicht unter den tief gelegten Horizont. Der Katalog blickt dagegen auf das Einzelding. Hans-Joachim Raupp schreibt darin, dass die ins Bild tretenden heimischen Landschaften auch als "Ausdruck des Stolzes auf die von der spanischen Fremdherrschaft befreite Heimat angesehen" werden könnten. Mit dem "Großen Waffenstillstand" (1609-1620) kam es zu einer wirtschaftlichen Blüte. Das Bild bekam einen anderen Ort. Der Bürger wurde zum Käufer.
Jan van Goyen habe etwa 1 200 Gemälde geschaffen, deren Einzelwert dem Monatseinkommen eines kleinen Handwerkers entsprochen hätte. Der Preis richtete sich neben Format und Künstlername nach dem Motiv. Einheimische Landschaften waren am billigsten, gefolgt von den Seestücken und den teureren italienischen Landschaften. Gemalt wurde im Atelier nach Skizzen, mit denen mehr oder weniger frei umgegangen wurde. Raupp schreibt, dass "die Gemälde in der Regel keine topographisch identifizierbaren Ansichten zeigen". Nah an der Natur folgen sie einer kompositorischen Dramaturgie. Ihre metaphorischen Deutung beurteilen Kenner eher zurückhaltend. Wie tief der Horizont gelegt wurde, kann man nun in der imposanten Ausstellung in der Orangerie des Georgiums sehen.