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Adresse für Phänomene Adresse für Phänomene: Familie in Dessau-Kochstedt entdeckt neun Zentimeter großen Hirschkäfer

Von Silvia Bürkmann 24.07.2020, 12:49
Dieses Prachtexemplar von einem Hirschkäfer mit etwa neun Zentimetern Länge einschließlich „Geweih“ wurde in Kochstedt gesichtet.
Dieses Prachtexemplar von einem Hirschkäfer mit etwa neun Zentimetern Länge einschließlich „Geweih“ wurde in Kochstedt gesichtet. Dietmar Glöckner

Kochstedt - „Komm schnell mal her“, ganz aufgeregt rief Brunhilde Glöckner am Montagmittag ihren Mann in den Garten. Und tatsächlich: Da ging im Kochstedter Hauerwinkel ein „riesengroßer Hirschkäfer“ spazieren.

Dietmar Glöckner machte ein paar Fotos und ein Video mit dem Handy, dann war der große Krabbler schon wieder ins Unterholz weggehuscht. Aber nicht, ohne Eindruck bei den beiden Kochstedtern hinterlassen zu haben. Und die haben auf ihrem Grundstück schon mehrere Naturphänomene gesehen. So hatte hier vor zwei Jahren tatsächlich mal ein Kugelblitz eingeschlagen und am Zaun mehr als Schmauchspuren hinterlassen.

„In der Natur ist auf alle Fälle immer soviel neues Leben zu entdecken. Käfer haben wir ganz viele in allen Farben: Grün, Blau oder Schwarz. Aber so ein Bursche ist hier erstmalig aufgetaucht“, erzählt Glöckner tags darauf, nachdem er einschlägige Internet-Lexika befragt hatte: Es müsse sich um ein Hirschkäfer-Männchen gehandelt haben, denn einschließlich der geweihartigen Auswüchse am Kopf brachte er es auf etwa neun Zentimeter Längenmaß. Die Weibchen seien nicht ganz so groß.

„Lucanus cervus“ ist die größte in Deutschland vorkommende Käferart

„Die Artbestimmung ist richtig: es handelt sich um den Hirschkäfer“, stellte Timm Karisch vom Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau nach Sichtung des Fotomaterials fest. „Lucanus cervus“ ist die größte in Deutschland vorkommende Käferart. „Bei einer Körperlänge (einschließlich Geweih) von neun Zentimetern würde es sich um ein ausgesprochen großes Exemplar handeln“, so der Experte und Kustos im Museums-Fachbereich Wirbellose.

„Die Tiere in der Sammlung des Museums haben meist eine Länge von sieben bis acht Zentimeter. Die Männchen des Hirschkäfers haben das deutlich sichtbare, große ’Geweih’, das eine Umbildung des Oberkiefers ist“, beschreibt der promovierte Entomologe die imposanten Mundwerkzeuge. Generell sei der Hirschkäfer in Deutschland eine seltene Käferart, weist Karisch jedoch darauf hin, dass es regionale Vorkommensschwerpunkte gibt.

Und die liegen im Flach-und Hügelland, wo noch alte Eichen oder Obstgehölze im größeren Umfang zu finden sind. Bleiben nach dem Absterben der Bäume Eichen- oder Obstbaumstubben im Erdreich, so könne sich dort die Hirschkäferlarve entwickeln.

Bis zur Verpuppung der Larve und dem Gestaltwechsel können fünf bis acht Jahre vergehen

Das Mittelelbegebiet ist wegen seiner ausgedehnten Bestände an alten Eichen ein Gebiet mit regelmäßigem Hirschkäferauftreten, weiß Timm Karisch. So werden auch in Dessau-Roßlau und Umgebung in jedem Jahr mehrere Hirschkäfer beobachtet und ans Museum gemeldet.

Der Lebenszyklus der Käfer startet nach der Paarung mit der Eiablage in der Erde unter einem modernden Wurzelstock. Nach durchschnittlich zwei Wochen schlüpft aus dem Ei eine winzige Larve. Wenn diese zu einem dicken Engerling heranwächst, frisst sie ohne Unterlass und häutet sich mehrfach. Bis zur Verpuppung der Larve und dem Gestaltwechsel mit Schlupf als erwachsener Hirschkäfer können fünf bis acht Jahre vergehen, beschreibt Karisch die langwierige und mühselige Metamorphose für den Start ins Käferleben.

Nach jahrelangem Versteck in vermodernden Baumstümpfen sei sein überirdisches Dasein dann laut Karisch kurz: Der ausgewachsene Hirschkäfer lebe nur von Anfang Juni bis Ende Juli. Derzeit also könne man an der richtigen Stelle schon ein „ganz schönes Gebrumm hören“. Denn der größte Käfer Deutschlands ist ein ziemlich lauter Flieger.

Ihr kurzes Dasein in Vollendung ist für die Hirschkäfer dann geprägt von ziemlicher Hektik

Ihr kurzes Dasein in Vollendung ist für die Hirschkäfer dann geprägt von ziemlicher Hektik: mit Partnersuche, erfolgreicher Paarung und Auftakt zum nächsten Zyklus. Und in dieser betriebsamen Phase eilte der Hirschkäfermann durch den Garten von Familie Glöckner in Kochstedt.

Und ist herzlich willkommen. „Wir haben hier ganz viel kleines Getier“, freute sich Dietmar Glöckner, am gleichen Tag wie den Riesenkäfer noch ein Igelpärchen gesehen zu haben. „Jetzt hoffen wir, dass es im Herbst wieder Nachwuchs gibt.“

Der Hauerwinkel in der Waldsiedlung ist zugleich ein Vogelparadies für Amseln, Zaunkönige, Meisen oder Gartengrasmücken. „Ihre Vogelkinder aufwachsen zu sehen, sind schöne Erlebnisse, die uns von der Corona-Krise ablenken“, sagt der Kochstedter. (mz)