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Zwischen Abschied und Anfang

Von Stefanie Hommers und Irina Steinmann 03.07.2005, 16:44

Wittenberg/MZ. - "Sie haben es geschafft." Schulleiter Bernd Ludlei blickt über die Reihen der Abiturienten des Lucas-Cranach-Gymnasiums. 63 junge Frauen und Männer sind es, die ihr Reifezeugnis am Freitag im Alten Rathaus erhalten. Stellvertretend für viele nennt Ludlei drei Namen, wirft einen Blick in ihre Zukunft: Michael Kerber, der mit einem Schnitt von 1,0 das beste Abitur seines Jahrgangs abgelegt hat, könnte er sich in zehn Jahren als Inhaber eines Lehrstuhls in Oxford vorstellen, Juliane Schreiber, engagiertes und talentiertes Mitglied der schulischen Theatergruppe, steht auf der Bühne des Bochumer Theaters und der rührige Schülersprecher und begeisterte Musiker Oliver Rimbach leitet einen Chor in Hamburg.

Eine Vision, die zweierlei deutlich macht: Bernd Ludlei glaubt an seine Schüler, daran, dass sie ihren Weg gehen werden, doch er befürchtet zugleich, dass dieser Weg sie weit weg führen wird. Weg aus Wittenberg und in die Welt hinaus - ohne Rückfahrkarte. Nicht dass er ihnen diese Erfahrungen nicht gönnen würde, allein die Sorge um die heimatliche Entwicklung schwingt mit bei seinem Entwurf. "Blühende Landschaften ohne Menschen hier - vor diesem Gedanken graut mir", bekennt der Schulleiter.

Von einem Europa, das den Abiturienten weit offen steht, spricht auch Reiner Haseloff. Zugleich verweist der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium jedoch auf die Bemühungen seiner Regierung, den jungen Leuten Sachsen-Anhalt als Heimat zu bewahren und sich um Arbeitsplätze zu bemühen. Es ist ein überaus optimistisches Bild, das der Politiker in seinem Grußwort entwirft; ein Appell an die jungen Leute, ihre Wittenberger Wurzeln nicht zu vergessen, verbunden mit der Mahnung, im beruflichen Wettbewerb ethische Fundamente sowie das menschliche Miteinander nicht außer Acht zu lassen.

Die Abiturienten selbst, schwankend zwischen einem Abschied, der schwer fällt, und jeder Menge Plänen für die Zukunft, geben sich pragmatisch. Juliane Schreiber will sich als Schauspielschülerin bewerben. "Aber wenn ich nicht genommen werde, mache ich eben was anderes. Wir sind doch flexibel", gibt sie lachend zu Protokoll. Bevor es soweit ist, wird die junge Frau aber erst einmal ein Jahr als Au-pair in Großbritannien verbringen. "Es irrt der Mensch, solang er strebt", hatte Oliver Rimbach, Goethe zitierend, die über die Jahre wechselnden Berufswünsche seiner Mitschüler kommentiert. Sein Entschluss steht fest: Musiklehrer. Dass er in zehn Jahren einen Chor leiten wird, ist also durchaus wahrscheinlich - ob er dies in Hamburg, Wittenberg oder ganz woanders tun wird, muss sich erst zeigen.

Raschelnde Roben

Fast zeitgleich legt sich an diesem frühen Freitagabend ein Hauch von Opernball über das nüchterne KTC. Glitzernde Roben rascheln, man trägt lang, selbstverständlich, und die Haare sind zu kleinen Kunstwerken hochgesteckt. Anders als die Kollegen vom "Cranach" hat das Martin-Luther-Gymnasium die feierliche Zeugnisübergabe und den Abi-Ball miteinander verbunden. 70 Abiturienten sind es in diesem Jahr, die die Hundertwasserschule verlassen, "ein deutlich schwacher Jahrgang", konstatiert Direktor Michael Sandau - was die Zahl angeht, nur was die Zahl angeht, wie sich im Laufe der Veranstaltung bald herausstellen wird.

Lasst euch nicht verbiegen, bleibt euren Idealen treu, das ist es, was Sandau und auch die Tutoren ihren Schützlingen ins Stammbuch schreiben. Es sind bewegende Worte und plötzlich zeigt sich die Schule dem Außenstehenden als das, was sie im Alltag vielleicht nur selten war: ein großes Ganzes, in dem es emotional keine Rolle spielt, wer Schüler ist, wer Lehrer und wer mit wem besser kann. "In den letzten drei Jahren stellten wir fest, dass Lehrer auch nur Menschen sind (mit denen man sogar einen trinken gehen kann)" - dieser launige Satz aus den Dankesreden der Schüler trifft es wohl am besten.

Aber es wird nicht so bleiben, wie es ist, und das gilt weit über das Universum Schule hinaus. Unter den 70 Namen sind nicht wenige, die in der Vergangenheit mit einer gewissen Regelmäßigkeit in der Presse zu lesen waren, auch wenn es nicht um Unterricht ging. Da ist allen voran Julia Kaufhold, mit einem Durchschnitt von 1,0 die Jahrgangsbeste am MLG, deren Namen untrennbar mit der erfolgreichen Vermarktung des Hundertwasserhauses verbunden ist (und die an diesem Abend, neben weiteren Auszeichnungen, auch den Martinspreis erhält für ihr herausragendes Engagement). Oder Charlott Gerlach, bis vor wenigen Tagen Präsidentin der sozial engagierten Lions-Nachwuchsorganisation "Leos". Sie alle werden Wittenberg verlassen, um zu studieren in Berlin oder Dresden oder noch ferneren Städten, und sie werden Lücken hinterlassen.