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Kontroverse Entscheidung Wurde Wolfen-Nord vor 61 Jahren auf fremden Grund gebaut?

Das Plattenbaurevier von Wolfen-Nord entstand ab 1960 zum großen Teil auf Bobbauer Gebiet. Warum das sogar Wahlergebnisse in Frage stellen sollte.

Von Ulf Rostalsky 17.07.2021, 14:00
Im Wohnkomplex III war der halbrunde Block am Nordring in der Nähe der Siebenhausener Straße ein Blickfang.
Im Wohnkomplex III war der halbrunde Block am Nordring in der Nähe der Siebenhausener Straße ein Blickfang. (Foto: Michael Maul)

Bobbau/MZ - Wolfen-Nord ist in dieser Woche 61 Jahre alt geworden und war einst das größte Plattenbaurevier der Region. „Das sind Fakten“, sagt Dieter Ullmann. Lange Jahre war er Ortsbürgermeister von Bobbau. Heute hält er die Fahnen des Heimatvereins hoch. Doch Ullmann hat weitere Informationen parat. „Durchaus brisante“, meint er.

Und verweist darauf, dass Anfang der 1990er Jahre durchgeführte Wahlen mit einigem rechtlichen Aufwand unter Umständen sogar hätten angefochten werden können. Denn Wolfen-Nord wurde zu großen Teilen auf fremdem Grund gebaut - was streng genommen auch den Namen in Frage stellt. Doch daran will Ullmann nicht rütteln. Fest steht: Wolfen-Nord entstand auf Bobbauer Gemarkung. Ein Fakt, der zu DDR-Zeiten und auch in der Frühphase der Wiedervereinigung keine Rolle spielte. Wer im Plattenbau wohnte, war Wolfener. „Aber die Häuser standen in Bobbau. Deshalb wären die Einwohner eigentlich auch Bobbauer gewesen und hätten in Bobbau wählen müssen.“

Gemarkungsgeschichte von Bobbau und Wolfen-Nord hat zu ungereimtheiten bei Wahlen geführt

Wahlen wurden nicht gekippt - nicht Bundestags- und auch nicht Landtagswahlen. Aber Behörden haben sich mit dem Bau auf fremden Grund beschäftigt. Letztlich ging man alles recht unaufgeregt an. Bobbauer und Wolfener Vertreter begaben sich mit Flurkarte auf Wanderung und sorgten für Klarheit. Bebaute Flächen fielen nach Wolfen, unbebaute nach Bobbau. „Alles wurde mit Vertrag besiegelt. Und heute ist ohnehin in Bitterfeld-Wolfen alles unter einem Dach“, meint Dieter Ullmann.

Für ihn ist die Gemarkungsgeschichte von Bobbau und Wolfen-Nord „eine spannende Angelegenheit“. Eine sogar, die bis in die Familien hineinragt. Denn die ab 1960 bebauten Flächen von Wolfen-Nord gehörten zu großen Teilen Bauernfamilien. Die hatten keine Wahl. Als das Plattenbaurevier entstand, wurde ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder für wenige DDR-Pfennige verkaufen oder enteignet werden.

Mit dem Bau von Wolfen-Nord schrumpfte Bobbau

Unter Druck stimmten die meisten Grundstückseigentümer dem unfairen Deal zu. Einige wenige weigerten sich und wurden prompt enteignet. Weil entschädigungslose Enteignungen aber Unrecht sind, bekamen sie das Land nach 1990 zumindest auf dem Papier zurück. Da die Flächen bebaut waren, wurden sie entschädigt - zu deutlich besseren Konditionen, wie Dieter Ullmann bestätigt. Er fügt aber auch hinzu: Reich sei niemand geworden.

Mit dem Bau von Wolfen-Nord schrumpfte Bobbau. Es war allerdings nicht das einzige Mal, dass die Gemarkungsgrenzen verschoben worden. Beispiele hat der ehemalige Ortsbürgermeister schnell bei der Hand. 1936 wurde Bobbau der Stadt Jeßnitz zugeordnet. Als die Siedlung Steinfurth entstand, wurden viele Häuser auf Bobbauer Grund gebaut. „Und nach dem Krieg wurde schließlich die gesamte Siedlung Wolfen zugeschlagen“, erklärt Dieter Ullmann nach dem Blick in die Unterlagen. Es gab aber auch Zeiten, da legte Bobbau zu.

1945 wurde Siebenhausen der immer weiter wachsenden Gemeinde Bobbau zugeordnet

1945 wurde Siebenhausen der immer weiter wachsenden Gemeinde Bobbau zugeordnet. So erinnern sich die Mitglieder des Heimatvereins. Allerdings können sie den Sachverhalt nicht mit Dokumenten belegen. Ihnen fehlt praktisch alles: Es gibt keine Urkunde, keine Weisung und auch keine Verträge. Alles ist überliefertes Wissen. „Wir können es nicht ändern. Aber vielleicht hat ja jemand eine Hinweis auf alte Dokumente“, erklärt Ullmann und blickt voraus.

Wenn am heutigen Donnerstag an die Grundsteinlegung von Wolfen-Nord im Jahr 1960 gedacht wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er sich unter die Besucher mischt, zuhört und notiert. Geschichte fasziniert ihn einfach.