Tschüss "Heinrich Heine" Tschüss "Heinrich Heine": Schulleiter Wolfgang Schmidt nimmt Abschied vom Wolfener Gymnasium

Wolfen - Wolfgang Schmidt hat keinen Plan. Tja, was werden die Tage so bringen, wenn er aus dem Schuldienst ausscheidet? Und der 31. Januar ist bedenklich nahe ... 40 Jahre lang ist er Lehrer, seit 1991 stellvertretender Leiter im Wolfener Gymnasium „Heinrich Heine“, seit 2008 dessen Chef. Da fällt so ein Tag schon schwer ins Gewicht.
Er sitzt hinter seinem sehr aufgeräumten Schreibtisch, beugt sich vor, legt die Arme übereinander und lacht. „Erstmal Ski fahren“, sagt er und schwärmt schon von der Sella Ronda im Trentino. „Und dann kommt das dran, was so liegengeblieben ist zu Hause. Also: mal gucken. Ich bin der, der spontan was entscheidet.“
Nicht ganz so spontan hingegen lief das mit dem Beruf. Die Wahl fußt auf einer Episode, die den damals 15-Jährigen beeindruckt: Für eine Stunde soll er den Lehrer für die sechste Klasse ersetzen. „Da hieß es: ,Schmidt, geh mal runter. Mach bisschen Bruchrechnung mit denen.‘ Und das hat mir Spaß gemacht“, blickt er zurück. „Obwohl immer Chemie das war, wo ich hinwollte.“
Mitte der 80er Jahre wäre für Wolgang Schmidt die Karriere als Lehrer fast zu Ende gewesen
Nach einem kurzen Umweg über den Facharbeiter für chemische Industrie schreibt er sich in der Pädagogischen Hochschule in Halle ein für die Fächer Mathe und Chemie. Lehrer - ja, das ist’s. Und das bleibt’s. Selbst, als er nach der Wende mal kurz auf den Gedanken kommt, nochmal was ganz Neues, was ganz Anderes zu studieren. „Ich kam auf: Lehrer“, meint er fröhlich. „Ich mach das gern. Und ein guter Lehrer muss das gern machen. Der muss richtig ticken, denn der Schüler will was von ihm.“
Sein Traumberuf beginnt in Wolfen, bis der Mitte der 80er Jahre für ihn fast zu Ende gewesen ist. Die Schnüffelei der Stasi, die Ideologisierung der Bildung - auch wenn die in seiner Schule dank einiger blickiger Leute nicht ganz so krass ist. Das ganze Programm eben. Schmidt, dem christliche Werte wertvoll sind, ist das zuwider. Er habe an seinem Beruf gezweifelt, sich schon um eine Stelle im Chemiekombinat Bitterfeld bemüht. „In der DDR-Bildungslandschaft ging einfach gar nichts mehr voran.“
Über 70 Prozent der Absolventen des Wolfener Gymnasiums gehen sofort an eine Uni oder Hochschule
Ein kleiner Lichtblick dann, ein Funke Hoffnung, eine vage Ahnung - wer sich darauf einlässt, kann die politischen Signale deuten. Schmidt und Freunde, Kollegen, die genauso denken, machen Bildungspolitik unter dem Dach der Kirche. Und blicken voraus. Mit der neuen Ordnung ändern sich in der Bildungslandschaft System und Strukturen und freilich Inhalte.
„1991 wurde hier das gegliederte Schulsystem eingeführt. Das ist schon das bessere gegenüber dem der DDR“, sagt Schmidt. Warum? „Es ist differenzierter, mehrere Schulformen existieren nebeneinander. Das birgt mehr Chancen - man kann genau eingehen auf das, was Schüler an Wissen und Fähigkeiten mitbringen. So kann man schon zu einem optimalen Ergebnis kommen.“
Das Gymnasium ist für ihn eine Leistungsschule, die man mit dem Ziel verlässt zu studieren. Über 70 Prozent der Absolventen des Wolfener Gymnasiums gehen sofort an eine Uni oder Hochschule. Das macht ihn stolz. Und er findet nicht, dass zu viele im Hörsaal sitzen. „Das sind die, die später in Wirtschaft und Politik präsent sind und das Land weiterführen“, sagt er.
Wolfgang Schmidt ist bis dato Chef von rund 800 Schülern und 64 Lehrern
Freilich sieht er auch die Baustellen, die sich nicht im Mangel an Pädagogen erschöpfen. Dazu gehört beispielsweise auch die Angleichung der Abitur-Anforderungen. („Das Abi macht keiner nebenbei. Ich sehe nicht, dass das sachsen-anhaltische Abitur die Schüler überfordert.“) Auch über Bildungspolitik quasi aus einer Hand könne man nachdenken. „Aber ob der Apparat dann vielleicht noch langsamer reagiert? Insofern kann ich damit leben, wie’s jetzt ist.“ Und: Das 13. Schuljahr sei auf keinen Fall ein verlorenes Jahr. Die Schüler seien reifer und auch gelassener.
Wolfgang Schmidt ist bis dato Chef von rund 800 Schülern und 64 Lehrern. Einer mit Geduld? Schmidt wiegt den Kopf, kneift die Augen zusammen und kommt auf eine salomonische Antwort: „Die Kommunikation - wenn die hinhaut, dann ist alles ok.“ Soll heißen: Zwei bis drei Hinweise sollten ausreichen, dem Schüler klarzumachen, was gewollt ist.
Der 65-Jährige gibt zu, „schon bisschen traurig zu sein, seitdem es amtlich ist“
„Das gilt nicht auf fachlichem Gebiet, da hab’ ich keine Geduldsgrenze.“ Über Probleme reden, solange sie noch klein sind und die Leute nicht gängeln - das ist sein Rezept für die Zusammenarbeit. „Wir sind ein gutes Team und ich konnte mich immer darauf verlassen“, sagt er und freut sich, dass viele junge Kollegen zum Team gefunden haben.
Der Alltag am Gymnasium in Wolfen, das sich ganz offiziell auf die Fahne geschrieben hat, eine Schule ohne Rassismus und mit Courage zu sein und die das auch lebt, geht weiter. Ohne Chef Wolfgang Schmidt. Der 65-Jährige gibt zu, „schon bisschen traurig zu sein, seitdem es amtlich ist“. Doch was soll’s? Es kommt Neues. Alle seine Freunde haben es erfahren. „Ich bin der letzte im Freundeskreis, der noch arbeiten geht“, sagt er, lacht und hebt die Schultern. Und: Da sind auch noch Kinder, Enkel - Familie eben. (mz)