Tierschicksal Tierschicksal: Heimatlose Schildkröte

Jessnitz - Die Flucht der griechischen Landschildkröte, die im vergangenen Sommer plötzlich in Bobbau auftauchte, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Denn auch nach mehr als einem Jahr konnte der Besitzer des Tieres nicht gefunden werden. Für die Schildkröte hat das gravierende Folgen. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihr angestammtes Heim hat sich ebenso zerschlagen wie die Chance auf einen neuen Besitzer. Stattdessen lebt das etwa zehnjährige männliche Tier seit 13 Monaten in der Auffangstation von Claudia Bracke in Jeßnitz.
„Ja, sie ist immer noch hier“, bestätigt Bracke. Dabei gebe es durchaus Interessenten. Doch die haben keine Chance. „Ich darf sie ja nicht vermitteln, da die Landschildkröte unter das Washingtoner Artenschutzgesetz fällt.“ Deshalb dürfe sie nur mit Herkunftsnachweis vermittelt werden. Doch der fehlt bei dem Fundtier logischerweise. Denn das war Ende Juli 2014 plötzlich abends auf dem Hof des Bobbauers Hartmut Richter aufgetaucht. Er machte sich große Sorgen um das exotische Tier mit dem schwarz-gelben Panzer und gab ihm erst mal eine Nacht lang Asyl in einer Plastikwanne - ausgelegt mit einer Kokosmatte. Mit Hilfe der MZ wurde das Tier dann an die Schildkrötenauffangstation weitervermittelt. Behalten hätte der Bobbauer das Tier nicht dürfen. Das wäre strafbar gewesen.
Die Schildkröten-Auffangstation bietet nicht nur gefundenen Tieren vorübergehend eine Unterkunft. Sie ist auch Anlaufpunkt bei Unglücken und Verletzungen. So brachten vor kurzem Jugendliche eine Wasserschildkröte vorbei, die an einem Angelhaken hing.
„Sie haben das Tier aus einem Teich gerettet“, schildert Claudia Bracke die Rettungsaktion. Die Gelbwangen-Schildkröte hatte den Haken verschluckt, ein Teil der Angelsehne hing ihr aus dem Maul. Das Tier fiel den Jugendlichen auf, denn es strampelte, da es sich verheddert hatte. „Der Angelhaken war tief in die Speiseröhre gerutscht und konnte erst durch einen Tierarzt entfernt werden.“ Sie habe die Schildkröte, die ausgesetzt worden war, wieder aufgepäppelt. Inzwischen hat diese ein neues Zuhause in der Region gefunden. „Die Vermittlung ist leichter, da Wasserschildkröten nicht unter Artenschutz stehen.“
Anfangs hatte Bracke noch die Hoffnung, dass sich - auch durch den MZ-Bericht - der Besitzer der jungen Schildkröte melden würde. Denn offensichtlich war das gepflegte Tier entlaufen. Zwar klingelte auch mehrfach das Telefon in Jeßnitz. Die Anrufer hofften, die gefundene Landschildkröte sei ihre. Doch die Hoffnung der verlassenen Herrchen, die unter anderem aus Bobbau, Wolfen und Brehna stammten, hatte sich jedes Mal zerschlagen. Denn die Panzertiere sind eindeutig identifizierbar - an ihrem Bauchpanzer. Bracke vergleicht dessen Einmaligkeit mit Fingerabdrücken.
Für das Schicksal des Ausreißers ist deshalb die Untere Naturschutzbehörde zuständig. Doch dort schweigt man sich aus. „Bei der Naturschutzbehörde oder beim Land bemüht man sich kaum, eine andere Unterbringung zu finden“, schildert Bracke ihre Erfahrung. Wundern tut sie sich darüber nicht. Denn das Problem sei, dass es wenige Alternativen gibt. „Beim Zoll beispielsweise, die geschmuggelte Tiere aufspüren, ist auch alles voll.“ Auch Zoos oder Tiergehege seien bereits gut ausgestattet und hätten wenig Interesse.
Deshalb gehen die Behörden den leichtesten Weg und lassen den Findling einfach in der Auffangstation. Kein Einzelfall. Inzwischen tummeln sich in Jeßnitz bereits elf der geschützten Landschildkröten - und zwar durch alle Generationen. „Sie sind von fünf bis 50 Jahre alt“, sagt Bracke. Womit der in Bobbau gefundene Schützling zu den Jungspunden im Gehege gehört. Doch ihren Lebensabend wird wohl kaum eine dieser Schildkröten dort erleben. Immerhin können sie 80 bis 100 Jahre alt werden - „und mich damit überleben“, so die Tierexpertin.
Doch auch wenn das Schildkröten-Männchen aus Bobbau heimatmäßig weiterhin in der Luft hängt, versichert Bracke: „Es geht ihm gut.“ So wie auch den anderen Schildkröten dort. Wichtigste Voraussetzung dafür: Platz. „Man braucht ein großes, durchstrukturiertes Gehege mit Verstecken.“ Denn die Männchen würden häufig Stress reinbringen. Warum? „Na, weil sie immer nur das eine im Kopf haben.“ Da sei es wichtig, dass sich die Weibchen auch verkriechen können.
Doch Fakt ist für Bracke auch: „Als Dauerlösung ist die Auffangstation hier eigentlich nicht gedacht.“ (mz)
