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Stadtentwicklung in Wolfen-Nord Stadtentwicklung in Wolfen-Nord: Das Sorgenkind braucht eine Zukunft

Von Ulf Rostalsky 08.08.2018, 05:00
In der Albert-Schweitzer-Straße von Wolfen-Nord sind Wohnblocks saniert und umgebaut worden.
In der Albert-Schweitzer-Straße von Wolfen-Nord sind Wohnblocks saniert und umgebaut worden. André Kehrer

Wolfen - Hat Wolfen-Nord eine Zukunft? Und wenn ja, wohin geht die Reise? Die Bitterfeld-Wolfener Stadtverwaltung arbeitet am Leitbild für den Plattenbaustandort und hat für die Aufstellung des Papiers zahlreiche Partner ins Boot geholt. Nur wird die Theorie offensichtlich von der Realität überrollt.

Beispiel Einwohnerzahl. Die bisher gültige Prognose geht von 8.000 Einwohnern in der Wohnsiedlung aus - ein riesiger Einschnitt. Immerhin lebten zur Wendezeit in Wolfen-Nord fast 35.000 Menschen. Heute rudert die Stadt noch weiter zurück. Aktuell haben im Plattenbauquartier nur 6.900 Leute ihr Zuhause. Die sollen dort wohnen bleiben.

Wie kann das gelingen? Stefan Hermann, Geschäftsbereichsleiter Stadtentwicklung im Bitterfeld-Wolfener Rathaus, sagt, dass er Langfrist-Leitbildern wie in Leipzig mit Prognosen bis 2050 nicht viel abgewinnen kann. Zehn, 15 Jahre wären ein überschaubarer Zeitraum. Den soll auch das Leitbild für Wolfen-Nord abdecken.

Das Wohngebiet Wolfen-Nord ist klassisches DDR-Erbe

Das Wohngebiet ist klassisches DDR-Erbe. Wo Plattenbauten aus dem Boden gestampft wurden, um Wohnraum für Arbeitskräfte der großen Kombinate zu schaffen, klaffen heute Lücken. Und es wird weiter rückgebaut. „Aber bitte bewerten Sie nicht alles negativ. Schauen Sie auch, was passiert ist in Wolfen-Nord“, rät Oberbürgermeister Armin Schenk (CDU). Dass er nicht zaubern kann, liegt auf der Hand.

Zwar scheint Bitterfeld-Wolfen finanziell die Kurve bekommen zu haben. Doch die Stadt plagt ein riesiger Schuldenberg. Für Investitionen stehen der Kommune samt Fördergeld pro Jahr kaum mehr als fünf Millionen Euro zur Verfügung. Schenk will den Blick auch auf die kleinen Projekte lenken. Auf die neue Street-Workout-Anlage am Filmband zum Beispiel. Die ist ein Zeichen, dass Wolfen-Nord auch für junge Leute attraktiv sein kann.

Das Alter der Einwohner wird in Wolfen-Nord zunehmend ein Problem

Das Alter wird zunehmend ein Problem. Nach Angaben der Stadtverwaltung liegt das Durchschnittsalter im Plattenbauquartier aktuell bei mehr als 51 Jahren. Tendenz steigend. Dass Wohnungsgenossenschaft und -gesellschaft bei der Sanierung von Objekten neben attraktiven Wohnzuschnitten und optischer Neugestaltung ganzer Straßenzüge wie in der Albert-Schweitzer-Straße zunehmend auf Barrierefreiheit achten und Fahrstühle anbauen wie in der Ernst-Toller-Straße, ist augenscheinlich. „In den Bestand investieren, ihn attraktiv machen und Mieter halten“, sagt etwa Genossenschaftschefin Sabine Barth.

Aber kann das alles sein? Kann Wolfen-Nord noch eine andere Richtung vertragen? Schenk sagt Ja und unterstützt die Ideen alternativen Wohnens, wie sie von der Herzensgemeinschaft vorgedacht werden. Die Gruppe hatte mit der Schlagzeile eines Ökodorfs in der Platte von sich reden gemacht. Die ersten Bewohner sind aus Großstädten nach Wolfen-Nord gezogen.

Wird der leerstehende Jugendclub 84 zum neuen Stadtteilzentrum?

Der Optimismus auf weiteren Zuzug ist groß: Weil die Idee gemeinschaftlichen Lebens ebenso ankomme wie der Standort mit seinen attraktiven Preisen auftrumpfen könne, heißt es. Die Stadt muss dafür wohl Neuland betreten. Klassisches Baurecht lässt genau genommen nur wohnen oder arbeiten zu. Aber was, wenn neue Bewohner beides an einem Ort tun? Etwa im freiberuflich, kreativen Bereich? „Wir werden in Richtung experimentelles Wohnen gehen“, kündigt Stefan Hermann an.

Eine Trumpfkarte wollen die Vertreter der Herzensgemeinschaft schnell ausspielen. Sie könnten sich vorstellen, den leerstehenden Jugendclub 84 als neues Stadtteilzentrum zu entwickeln. Vorausgesetzt, das Vorhaben ist finanziell zu stemmen. Derzeit kursieren Zahlen, die allein von 1.000 Euro Betriebskosten pro Monat berichten. „Wir sind offen für Ideen. Wir werden reden“, so Schenk. (mz)

Die großen Chemiebetriebe in der Region brauchten zu DDR-Zeiten Arbeitskräfte und die wiederum brauchten Wohnungen. Vor diesem Hintergrund wurde Anfang der 1960er Jahre der Beschluss gefasst, zwischen Wolfen, Bobbau, Siebenhausen und Jeßnitz eine riesige Trabantenstadt zu bauen.

In mehreren Abschnitten entstanden bis zum Jahr 1990 fast 14.000 Wohnungen, in denen knapp 35.000 Menschen wohnten. Nach der Wende setzte mit dem Niedergang der Industrie allerdings der Wegzug der Bewohner ein. Heute leben in Wolfen-Nord noch 6.900 Einwohner.

Ihre Wohnungen befinden sich inzwischen nicht mehr in den altbekannten Wohnkomplexen. Um den Standort auch verbal aufzufrischen, ist das Revier in Akademiker-, Autoren- und Fuhnetalviertel aufgeteilt.

Hat der frühere Jugendclub 84 eine Zukunft? Die Herzensgemeinschaft könnte sich vorstellen, ihn als neues Stadtteilzentrum zu entwickeln.
Hat der frühere Jugendclub 84 eine Zukunft? Die Herzensgemeinschaft könnte sich vorstellen, ihn als neues Stadtteilzentrum zu entwickeln.
Ruttke
Die Teilnehmer der Veranstaltung hören den Erläuterungen von Bitterfeld-Wolfes obersten Bauchef Stefan Hermann aufmerksam zu.
Die Teilnehmer der Veranstaltung hören den Erläuterungen von Bitterfeld-Wolfes obersten Bauchef Stefan Hermann aufmerksam zu.
Thomas Ruttke