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Schornsteinfeger-Handwerk Schornsteinfeger-Handwerk: Ohne Netz und doppelten Boden

Von DETMAR OPPENKOWSKI 19.10.2010, 15:22

WOLFEN/MZ. - In 13 Meter Höhe balanciert Remo Jordan auf dem Dachfirst eines Wolfener Einfamilienhauses. Er trägt einen mit goldfarbenen Knöpfen zweireihig versehenen schwarzen Kehranzug, über der Schulter hängt die Kehrleine und der Kopf ist mit einem schwarzen Zylinder bedeckt. "Man hat hier einen guten Ausblick", ruft der Bezirksschornsteinfegermeister. Aber viel Zeit zum Genießen bleibt nicht, denn neben der Reinigung des Schornsteins ist bereits der Weg dorthin ein Drahtseilakt - ohne Netz und doppelten Boden.

Das erfordert Konzentration, einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, eine realistische Selbst- und Lageeinschätzung. "Jedes Dach ist anders. Auch Wind und Wetter sind zu beachten. Denn wenn man hier stürzt, stürzt man tief", sagt der 43-Jährige. Passiert sei in all den Jahren nichts. Schließlich habe er das Handwerk von der Pike auf gelernt hat. "Als Schüler habe ich bei einem Schornsteinfeger gearbeitet. Da lag der nächste Schritt nahe und so habe ich 1983 angefangen zu lernen." 1985 endet die Ausbildung, 1988 schließt sich die Meisterschule an. "Mit der Wende habe ich mich dann auf den Kehrbezirk Wolfen beworben." Und so ist Remo Jordan seit 1992 auf den Dächern Wolfens zu Hause. "Ich kenne die Leute und die Leute kennen mich." Aber nicht nur deshalb wird er, wenn er mit seinem Fahrrad - in seinem schwarzen Kehrzug und dem schwarzen Zylinder - die Häuser abfährt, dann und wann aufgehalten. Als Schornsteinfeger verkörpert er auch den Glücksbringer in Person. "Manche Leute streicheln dann über die goldfarbenen Knöpfe." Doch warum eigentlich?

"Der Beruf des Schornsteinfegers war früher ein sehr angesehener. Verstopfte oder schlecht ziehende Kamine bedeuteten ein kaltes Heim und einen kalten Herd, das Herzstück der damaligen Häuser. Im schlimmsten Fall konnten zu brennen beginnende Rußteilchen zu einem Haus- oder manchmal sogar zu einem Dorfbrand oder ein verlegter Kamin zur lebensgefährlichen, oft todbringenden Vergiftung durch Rauchgase führen", weiß er zu berichten. "Der Schornsteinfeger, der solcherlei häusliche Gebrechen durch das Fegen des Schornsteins beheben oder abwenden konnte, war sozusagen als ,Retter' zu sehen und dementsprechend hoch geachtet. Daher rührt wohl auch die Verwendung des Symbols des Schornsteinfegers als Glücksbringer." Und so wird Remo Jordan hin und wieder auf Hochzeiten eingeladen, um den frisch Vermählten viel Glück mit auf den Weg zu geben. Viel Tradition begleitet ihn also.

Nach getaner Arbeit legt er die Jacke des Kehranzugs ab und zeigt auf die rot-weißen Hosenträger. "Schornsteinfeger, Hosenträger", sagt er schmunzelnd und setzt auch den Zylinder ab. "Der geht auf eine Zeit zurück, als in deutschen Landen das Tragen des hohen Hutes das Privileg des Adels war. Schornsteinfeger waren königlich privilegiert, sie gehörten quasi zum Hofstaat und durften im Unterschied zu anderen Handwerkern den Zylinder tragen."

Doch obwohl durch Remo Jordans Tracht die Tradition fortgeführt wird, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das tatsächliche Berufsbild verändert. Darauf will auch der Berufsverband des Schornsteinfegerhandwerks aufmerksam machen und hat am Mittwoch den "Tag des Schornsteinfegers" initiiert. "Ein Handwerk im Wandel", nennt sich diese bundesweit durchgeführte Aktion, die die Vielseitigkeit des Berufs zeigen will, denn "längst zählen nicht mehr nur Leiter und Kehrbesen zum Handwerkszeug". "Der Dienstleister von heute verfügt über Expertenwissen in den Bereichen Umweltschutz, Brandschutz und Energieeinsparung", heißt es und das wird auch von Remo Jordan bestätigt. "Man muss immer auf dem Laufenden bleiben", sagt er, denn neben dem Kehren und Reinigen gehört auch das Messen mit zum Aufgabengebiet. Dabei steht auf der einen Seite weiterhin die Sicherheit, auf der anderen die Entlastung der Umwelt. "Wir stellen fest, wenn Heizungsanlagen bei der Verbrennung zu viele Schadstoffe produzieren. So sorgen wir dafür, dass die Emissionen im grünen Bereich bleiben." Qualifizierungen - ob in Brandschutztechnik oder Energieberatung - seien erforderlich.

Und so hat sich auch für Remo Jordan einiges verändert. "Hat früher das Kehren der Schornsteine auf den Dächern unseren Alltag bestimmt, macht das heute nur noch 20 Prozent unserer Arbeit aus." Dennoch hat er seine Berufsentscheidung nie bereut. "Ich bin mit Leib und Seele Schornsteinfeger, gehe aber mit der Zeit." Mit schwarzem Kehranzug und Zylinder, versteht sich.