Publikation Publikation: Bitterfelds Weg in die Wissenschaft
BITTERFELD/LEIPZIG/MZ. - Mehr als fünf Jahrzehnte ist es nun her, dass eine Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages eine neue programmatische Entwicklung der sozialistischen Kulturpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik einläuten wollte. Namensgebend dafür war der im Jahr 1959 gewählte Konferenzort Bitterfeld. Somit war der "Bitterfelder Weg", der die vorhandene Trennung zwischen Kunst und Leben aufheben sollte, geboren.
Nun, fünf Jahrzehnte später, beschreitet Bitterfeld den Weg in die Wissenschaft, denn die Enkelgeneration der schreibenden Arbeiter hat sich bereits im vergangenen Jahr auf die Suche nach den Überbleibseln der sozialistischen Kulturpolitik gemacht und nun in einem Jahrbuch unter dem Namen "Flachware" die aktuellen Ergebnisse zusammen getragen.
"Anlässlich des 50. Jahrestags der Konferenz haben Studierende der Buchwissenschaften an der Leipziger Universität die Zeugnisse des Bitterfelder Wegs, also Brigadetagebücher, Plakate, Gemälde und Dokumente gesichtet und ausgewertet", sagt Eyk Henze. Zusammen mit Patricia Zeckert hat er das Jahrbuch herausgegeben, das am 30. November in Leipzig vorgestellt wird. Doch was hat es mit dem Buchtitel "Flachware" auf sich?
"Als Flachware bezeichnen genervte Ausstellungsmacher Bücher mithin, denn sie gelten als schwer präsentierbar. An dieses nicht in den Rahmen passen, knüpfen die Verfasser im positiven Sinn an", so Henze. Insgesamt füllen mehr als 20 Studierende, Absolventen, Doktoranden und Fachwissenschaftler den Almanach, der in unterschiedlichen Kapiteln historische Themenfelder, zeitgenössische Trends und aktuelle Forschungsfelder vorstellt. Vier Texte widmen sich dokumentarisch dem Bitterfelder Weg.
In "Schwing das Tanzbein, Kumpel", hat sich Franziska Galek in Anlehnung an das damalige Motto "Greif zur Feder, Kumpel" den tanzenden Arbeitern gewidmet. "Gleich zu Beginn der Nachforschungen wurde deutlich, dass über die zur Feder oder zur Kamera greifenden Arbeiter schon einiges bekannt war. Auch die Zirkel malender Arbeiter waren uns ein Begriff. Aber über tanzende Arbeiter wussten wir fast nichts", schreibt sie. Also begab sich Franziska Galek in das Leipziger Tanzarchiv und recherchierte über die Tanzgruppe des VEB Chemische Werke Buna.
"Neben einigen Programmheften, Plakaten, Fotos und Artikelsammlungen sowie einer Tanzbibliografie war vor allem ein Filmmitschnitt des ersten Arbeiterballetts ein Glücksfall." Anhand dieser Materialien zeichnete die jetzige Doktorandin Strich für Strich den Werdegang des Ensembles nach und fragt an einer Stelle: "Wer waren eigentlich diese Menschen, die sich freiwillig nach einem harten Arbeitstag mehrmals die Woche mit der Einstudierung neuer Tänze plagten?"
Amüsant und kurzweilig schreibt die Autorin dann über die unterschiedlichen Berufsbilder, die Frauen- und Männerquote und die Zusammenarbeit mit anderen proletarischen Kulturschaffenden. Doch welche Erkenntnis gewinnt man dadurch schlussendlich? "Der Bitterfelder Weg wurde zwar im Nachhinein belächelt. Doch man kann festhalten, dass - unabhängig von den Inhalten der Kulturpolitik - das Musische in Breite unter das Volk gebracht wurde, und dass die Arbeiter das alles sehr ernst genommen haben", sagt Eyk Henze. Auch habe der Bitterfelder Weg vor Ort seine Spuren hinterlassen, etwa beim Wolfener Amateurtheater oder dem Kunstverein Bitterfeld / Wolfen", der aus den ehemaligen Malzirkeln der beiden Städte hervorging. Dies sind nur einige der Facetten des Bitterfelder Wegs, die das jetzt im Handel erschienene Buch beleuchtet.
Das Buch "Flachware" wird am 30. November in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig vorgestellt. Beginn ist 20 Uhr.