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Nachweis von Gravitationswellen Nachweis von Gravitationswellen: Superglas aus Greppin hilft US-Weltraumforschung

Von Frank Czerwonn 11.04.2016, 19:50
Prüferin Silvia Schwark, Werkleiter Hagen Sandner und Produktionsleiter Raik Herrmann (v.r.) bei der Qualitätskontrolle von Quarzglaszylindern.
Prüferin Silvia Schwark, Werkleiter Hagen Sandner und Produktionsleiter Raik Herrmann (v.r.) bei der Qualitätskontrolle von Quarzglaszylindern. André Kehrer

Greppin - Der erstmalige Nachweis der Gravitationswellen hat vor kurzem weltweit Begeisterung und Bewunderung ausgelöst. Doch was kaum jemand weiß: Ohne die Arbeiter im Greppiner Heraeus-Werk wäre diese spektakuläre Entdeckung vielleicht niemals gelungen.

Denn von hier kommt das Ausgangsmaterial für die hochempfindlichen Superspiegel und alle anderen optischen Geräte in den beiden Forschungsanlagen in den USA, die Ligo heißen. Erst durch das hochreine Quarzglas aus Bitterfeld konnte das schwache Beben der Raumzeit aufgespürt werden, das durch die Kollision zweier Schwarzer Löcher entstanden war.

Die Gravitationswellen wurden erstmals am Ligo, dem Gravitationswellen-Observatorium, nachgewiesen. Ligo besteht aus zwei Observatorien in Hanford und Livingston. Jedes hat ein L-förmiges Vakuumsystem.

Vereinfach erklärt wird am Schnittpunkt der beiden gleich langen Schenkel ein Laserstrahl durch einen ersten Spiegel geschickt und geteilt. Ein Teilstrahl durchläuft dann den einen röhrenförmigen Arm, der andere den anderen Arm der Anlage. An deren Ende steht je ein weiterer Spiegel, der den jeweiligen Laserstrahl zurückschickt. Die Zeit, die die beiden Laserstrahlen dafür brauchen, ist logischerweise gleich.

Doch wenn starke Gravitationswellen auf die Anlage treffen, wird einer der Arme quasi gestaucht. Durch den kürzeren Weg ist ein Laserstrahl minimal schneller als der andere. Das wurde am Ligo gemessen und damit die vom Zusammenstoß von zwei Schwarzen Löchern verursachten Gravitationswellen nachgewiesen. Die verwendeten Spiegel sind aus dem Quarzglas von Heraeus.

Als die nobelpreisverdächtige Entdeckung in zeitgleichen Pressekonferenzen weltweit bekannt gegeben wurde, saß Dr. Ralf Takke in seinem Büro. „Ich bin vor Begeisterung aufgesprungen“, erzählt er. „Diese Entdeckung war überwältigend.“ Der Vice President Optics am Heraeus-Stammsitz in Hanau beschäftigt sich schon seit mehr als 30 Jahren mit Quarzglas. Dieser hochreine Superwerkstoff namens „Suprasil 3001“ steckt in den optischen Bestandteilen der Versuchsanlagen in Livingstone und Hanford (USA), zum Beispiel in den Spiegeln. Doch seinen Ausgangspunkt nahm er in Bitterfeld.

Wie aber kommt dieses Material von hier in die US-Weltraumforschungsanlagen? Im hiesigen Heraeus-Werk wird Quarzglas hergestellt. Aber eigentlich nicht für die Wissenschaft, sondern für die Kommunikationstechnik. Beispielsweise werden daraus die Glasfaserkabel für Telefon- und Internetverbindungen gezogen. Wie wichtig dieses Produkt ist, weiß Standortleiter Hagen Sandner: „Quarzglas ist der Schlüssel zum Informationszeitalter.“

Quarzglas braucht Zeit

Dass ein Viertel der weltweiten Produktion aus Bitterfeld kommt, hat einen Grund. „Dieses Quarzglas ist extrem durchsichtig und rein, damit nichts verloren geht“, erklärt Takke. Sandner macht das an einem Beispiel deutlich: „Unser Quarzglas ist so transparent - wenn sie daraus eine 100 Meter dicke Fensterscheibe machen, können sie problemlos durchschauen und alles klar erkennen.“ Allerdings muss man auch sagen: Von den in Bitterfeld produzierten drei Meter langen Hohlzylindern aus Quarzglas bis zu den Präzisionsspiegeln in den Forschungsanlagen ist es ein weiter Weg.

„Wir müssen ja erst mal aus den Hohlzylindern ein massives Material machen“, erläutert Takke. Das geschieht in Hanau mit speziellen Veredelungsverfahren und Glasglühprogrammen. Wie zeitintensiv letztlich solch ein Arbeiten für die Spitzenforschung ist, zeigt ein Detail: „Das Glas, das jetzt in den US-Anlagen von Ligo verwendet wurde, haben wir schon 2008 geliefert“, so Takke. Jeder der Spiegel in den Versuchsanlagen entstand aus einem Rohling von 40 Kilogramm. „Die wurden dann von Optikfirmen noch poliert, beschichtet, immer wieder getestet und in verschiedene Halterungen eingebaut, um bestmögliche Messergebnisse zu bekommen.“

Nicht nur für die USA interessant

Wie hoch geschätzt das Quarzglas Suprasil 3001 von Heraeus wird, beweist die Tatsache, dass es nicht nur in den amerikanischen Anlagen, sondern auch in zwei weiteren Projekten zum Aufspüren der Gravitationswellen genutzt wird. Das aber schafft man nicht von heute auf morgen. Die Ursprünge reichen Jahrzehnte zurück.

Schon die Laserreflektoren, die die Apollo-11-Crew im Juli 1969 auf dem Mond aufbaute, hatte Prismen aus Quarzglas von Heraeus. „Die funktionieren ähnlich wie ein Fahrrad-Reflektor“, erklärt Takke. „Mit ihnen konnte die exakte Entfernung vom Mond zur Erde bestimmt werden.“ Durch diese lange Quarzglas-Geschichte habe Heraeus einen guten Ruf in der Wissenschaftswelt erworben. Die Beteiligung am Beweis der von Einstein vorhergesagten Gravitationswellen ist nun die Krönung.

Entsprechend groß ist der Stolz der fast 500 Mitarbeiter in Bitterfeld. „Natürlich ist die Menge an Quarzglas, die wir dafür lieferten, sehr gering im Vergleich zu dem für die Telekommunikation“, sagt Sandner. „Aber das war ein Meilenstein in der Wissenschaft, ein einmaliges Ereignis, an dem wir in Bitterfeld beteiligt waren.“ Takke betont die zahllosen Mitstreiter weltweit, sagt aber auch: „Ohne Heraeus wäre es nicht gegangen.“ (mz)

Eine Simulation zeigt, wie zwei Schwarze Löcher verschmelzen - unter Abstrahlung von Gravitationswellen.
Eine Simulation zeigt, wie zwei Schwarze Löcher verschmelzen - unter Abstrahlung von Gravitationswellen.
Max-Planck-Institut
Das Heraeus-Werk in Greppin.
Das Heraeus-Werk in Greppin.
André Kehrer
Arbeit in der Werkhalle.
Arbeit in der Werkhalle.
André Kehrer