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Muldenstein Muldenstein: Schreiben ist ein Stück Aufarbeitung

Von PETER HOFFMANN 10.12.2009, 16:52

MULDENSTEIN/MZ. - Dabei stand das Kreativsein bei ihm anfangs unter keinem guten Stern: "Wir schrieben in der Schule einen Aufsatz. Für die Form und die Rechtschreibung bekam ich Einsen, für den Inhalt aber eine Fünf. ,Zu viel Phantasie', fügte mein Lehrer noch als Anmerkung hinzu. Und zu Hause rief meine Mutter dann: ,Ich werde dir die Phantasie schon austreiben!'" Ergebnis dieser Erziehung wurde schließlich ein Bauingenieur, der auf verschiedenen Großbaustellen in der DDR und später als Freiberufler seinem in erster Linie von Zahlen und Formeln beherrschten Beruf nachging.

Doch wessen Leben verläuft schon geradlinig? Und letztendlich ist nichts Erlebtes umsonst, jedenfalls nicht in der Zunft der Schreibenden, wie sich später auch für Lutz Heinrich zeigen sollte. Denn nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben galt es für ihn, eine quälende Leere auszufüllen. Und da drängte sich die im jahrzehntelangen Alltag unterdrückte Phantasie wieder in den Vordergrund, diesmal jedoch auf dem Fundament eines an Erfahrungen bereits reichen Lebens.

Einer heimatgeschichtlichen Publikation über das ehemalige Café Heinrich in Wolfen folgten "Geschichten am Kamin", "Der Drahtesel", "Geschichten aus dem Bauwagen", "Mein Stückchen Heimat" und weitere Bücher. Lesungen im Buchdorf Friedersdorf-Mühlbeck, im Muldensteiner Herrenhaus und auch außerhalb der Grenzen unseres Landkreises brachten großes Feedback zu den oft heiteren Texten von Lutz Heinrich .

"Ich will den Leuten Freude bereiten und sie an Dinge aus ihrem eigenen Leben erinnern", sagt der Autor. Aber manchmal blieb es auch schmerzhaft still um ihn, wenn mal wieder ein neues Buch erschienen war. Eine Handvoll Gleichgesinnter und sein treuester "Fan", eine in den USA lebende ehemalige Wolfenerin, die seine Publikationen in einer deutschsprachigen Kirchengemeinde vorstellt, halfen über solche Momente hinweg. Dann kam für Lutz Heinrich jene Krankheit, die alles verändern sollte: der Krebs. Und auch darüber sollte ein Buch entstehen: "Das Männerfrühstück".

Gedanken wie "Woher?", "Wovon?" und "Was hast du falsch gemacht?" schoben sich darin für den Ich-Erzähler immer mehr in den Vordergrund. Nach einem ersten "Das-kann-doch-nicht-sein" sollte eine Analyse der Vergangenheit Klarheit bringen, was dem Buchhelden aber nur zum Teil gelang. Und dann reifte in ihm nach und nach die Einstellung: "Ich nehme meine Krankheit an!". Er dachte dabei jedoch nicht eine Sekunde ans Aufgeben. Das Erfahren von Solidarität in der Rehaklinik durch ähnlich Betroffene weckte in dem Ich-Erzähler jenes natürliche therapeutische Potential, das in jedem von uns steckt und das in dem autobiografisch geprägten Buch in einem Männerfrühstück gipfelt, bei dem der Autor drei weitere Patienten zu Wort kommen lässt.

Schreiben als Verarbeitung von Geschehenem: Längst sind die Helden aus Heinrichs Buch wieder zu Hause, mit unterschiedlichem Verlauf ihrer Krankheit. Und mindestens einer von ihnen aus der Runde hat neuen Lebensmut auch aus der Tatsache geschöpft, dass etwas über ihn veröffentlicht wurde so für die Nachwelt festgehalten worden ist. Vielleicht schon allein deshalb hat sich das Schreiben dieses Buches gelohnt.

Erfolg muss nicht laut und grell sein, er kann leise daherkommen. Auch als Zeugnis dafür, dass einer die Last des anderen zu tragen bereit ist. Oder wie Lutz Heinrich es ausdrückt: "Man nimmt ein Stück des Menschen, über den man schreibt, in sich auf." Was ist als nächstes von dem Muldensteiner Autor zu erwarten? "Das Wunder der Fuhne" heißt sein neuestes Buch, welches in Kürze erscheinen wird.