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Mit dem Bäckerwagen über Land

Von Raik Anton 14.08.2008, 16:27

Schwemsal/MZ. - Ein Kinderlied hallt in aller Frühe in den Heidedörfern durch die Straßen: Mit "Backe, backe Kuchen..." kündigt sich der Verkaufswagen der Landbäckerei Schiebel aus Schwemsal an. Das Familienunternehmen beliefert seit 2002 die ländlichen Gebiete im Landkreis Anhalt- Bitterfeld mit frischer Ware. Der Verkaufswagen ist dabei nicht nur Brötchengeber, sondern bietet auch eine Gelegenheit zum Plausch.

An diesem Mittwochmorgen fahren nur wenige Autos durch Schwemsal. Doch in der Bäckerei herrscht kurz vor sechs schon reges Treiben. In der schmalen Einfahrt neben dem Laden steht eines der beiden Lieferautos und wird beladen. Verkäuferin Bianca Kersten nimmt die Kisten voller Brötchen entgegen, die ihr die Bäcker reichen. Die vielen Kuchensorten liegen schon in der Auslage für die Kunden bereit. "Es wartet eine schöne Tour auf uns", verspricht die Bäckereifachverkäuferin und lächelt über die Brotkisten hinweg.

Von Schwemsal fahren wir um sechs Uhr nach Krina, wo die ersten Kunden des Tages bereits auf uns warten. Dann geht es weiter nach Gossa, Burgkemnitz, Muldenstein, Bitterfeld, Rösa und Brösa. Gleich an der ersten Haltestelle in Krina wird klar, dass man sich kennt. Zwischen der Bestellung und dem Einpacken der Ware geht es zum Beispiel um eine Reifenpanne auf dem Weg zum Studententreffen, die schnell behoben werden konnte.

Mathias Kolander wohnt in Krina und kommt mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit vorbei. "Wir sind immer die ersten und bekommen das Frischeste", meint er lachend beim Einsteigen ins Auto. Kurze Zeit später steht der Verkaufswagen in Gossa. An der Hauptstraße steht Bianca Kersten fast zwei Stunden mit ihrer Ware und sieht viele Gesichter. Eine Großbestellung sorgt für vorübergehende Hektik bei der Verkäuferin. "20 Doppelte, 30 Roggen- und zehn Sonnenkornbrötchen", möchte der Kunde. Sein Bekannter gehe für ein Jahr nach Dessau und werde nun verabschiedet, erzählt der Mann, während er bezahlt.

Die meisten halten mit dem Auto auf dem kleinen Parkplatz hinter dem Bäckerwagen. So auch Christoph Trischler und seine Freunde. Sie sind richtige Stammkunden. "Dreimal pro Woche halten wir hier an auf dem Weg in die Berufsschule nach Bitterfeld." Sie hätten wenig Zeit, seien schon spät dran. Doch den Halt beim Bäcker wollten sie nicht auslassen. Treue Kundschaft ist für Bianca Kersten das wichtigste, wenn sie mit dem Wagen unterwegs ist. "Es gibt Leute, die umgezogen sind und in ihren neuen Orten eigentlich Bäcker hätten. Trotzdem kommen sie zu uns."

Die Solidarität mit dem Lieblingsbäcker ermöglicht Dinge, die das Dasein als mobiler Brötchengeber erleichtert. Bianca Kersten erinnert sich an einen besonderen Fall: "Damals sollten wir in Gröbern Standgebühren zahlen. Ein Kunde bot an, dass wir in seiner Einfahrt stehen könnten, damit wir das Geld sparen. Das machen wir nun seit zwei Jahren."

Die Landbäckerei Schiebel beliefert ihre Kunden seit 2002 dienstags bis samstags auf zwei verschiedenen Strecken. Dazu stehen zwei Fahrzeuge zur Verfügung. Was am Wochenende übrig bleibt, geht komplett an die Tafel in Wittenberg, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Die Verkäuferinnen der Landbäckerei wechseln sich beim Außendienst ab. "Die Arbeit draußen macht mehr Spaß. Die Leute freuen sich, dass man kommt. Manche haben sonst niemanden zum Reden. Die Kunden im Laden haben da weniger Zeit", resümiert Bianca Kersten, die zu Weihnachten oder zum Geburtstag schon mal kleine Geschenke von den Kunden bekommt.

Auch in Zeiten steigender Spritpreise fährt Kersten ihre Runde. "Es rechnet sich noch. Man muss nur kostengünstig fahren." Durchschnittlich bedient sie 150 Kunden an einem Tag auf der Straße. "Den Leuten ist wichtig, dass wir kommen. Für viele ist das ein fester Termin in der Woche", ist sich Kersten sicher. Der Wagen fährt bei Wind und Wetter seine Strecke ab. Nur ein Mal mussten die Leute bisher ohne frische Backwaren auskommen. Grund dafür war Glatteis.

Ab sieben Uhr kündigt sich der Bäckerwagen mit dem Lied "Backe, backe Kuchen" selbst an. Früher könne man die Musik nicht einschalten, da man Rücksicht auf die Schichtarbeiter nehmen müsse, so Kersten. Ab Burgkemnitz ist ein Verkaufswagen der Firma Silberthaler Fleischwaren aus Delitzsch mit dabei. Seit 2004 fahren Bäcker und Fleischer gemeinsam von Burgkemnitz über Bitterfeld nach Rösa. "Der Fleischer hat bei uns angefragt, ob wir gemeinsam fahren könnten, weil er seine Tour ändern wollte. Die Kunden nehmen das gut an", erklärt Bianca Kersten. Für den Burgkemnitzer Franz Rilk sei es praktisch, Bäcker und Fleischer nebeneinander zu haben. "Ich komme seit 2002 zum Bäckerwagen und kaufe immer Mohnschnecken und ein halbes Roggenbrot. Und dann noch das, was mir gerade einfällt."

In Muldenstein zeigt sich, dass Bianca Kersten auch als Entscheidungshilfe gebraucht wird. Die 34-Jährige hilft bei der Frage einer älteren Frau, ob sie lieber helle oder dunkle Brötchen nehmen sollte. "Und was ist denn besser, Pfann- oder Nusskuchen?" Wer die Wahl hat, hat die Qual, heißt es und Kersten überzeugt die Kundin von den großen hellen Brötchen und dem Nusskuchen. Der Andrang auf Kerstens Bäckerwagen in Muldenstein ist groß, obwohl sich gegenüber ein Supermarkt befindet und ein weiterer Bäckerwagen in den Ort kommt. "Die Kunden sagen, unsere Backwaren schmecken besser und wir sind billiger", begründet Bianca Kersten die lange Warteschlange vor ihrem Wagen.

Um 10.45 Uhr parkt der Verkaufswagen der Landbäckerei Schiebel in der Friedensstraße in Bitterfeld. Eigentlich steht Bianca Kersten hier näher an der Kreuzung, aber ein Auto zwingt die Verkäuferin einige Meter weiter. Die Anwohner sind ärgerlich, weil sie es nun etwas weiter zu ihrem Brot haben. Man einigt sich, dass das "Falschparken" innerhalb der Nachbarschaft angesprochen werden soll.

Karla Raabe hat nach eigenen Angaben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Bäckerwagen auch nach Bitterfeld in die Friedensstraße kommt. "Ich hatte eine Arbeitskollegin in Schwemsal, die mir von der Bäckerei immer Brot mitbrachte. Das schmeckte mir und ich dachte, das wollen die Leute in Bitterfeld sicherlich auch." Besonders für die Älteren sei der mobile Bäcker eine tolle Sache. Kurz nach Mittag endet die Tour von Bianca Kersten. Dann geht es zurück nach Schwemsal. Nachdem um 15.30 Uhr der Wagen gesäubert ist, schließt Kersten die Wagentür ein letztes Mal an diesem Tag.