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Leute Leute: Filmstar ohne Garantie-Papier

Von Sylvia Czajka 04.09.2001, 14:44

Gräfenhainichen/MZ. - Die Hülle des Hauses am Ende der Strohwalder Straße in Gräfenhainichen hat den Charme aus DDR-Zeiten nicht verloren. Auch heute nicht. Es ist das Zuhause der Sommerfelds. Seit je her. Und eigentlich doch nicht. Denn am Oderbruch im kleinen Ort Golzow hält stolz ein Junge seine Zuckertüte in die Höhe. Lächelt frisch gescheitelt in die Fernsehkamera. Wie 13 seiner neuen Klassenkameraden. Im Jahre 1961. Als alles begann.

"Warum gerade von ihnen erzählen? Warum nicht." Willy Sommerfeld ist einer von ihnen. Einer, der Filmhelden, deren Karriere als Abc-Schütze begann und 33 Jahre später auf dem Bock eines Lkw enden sollte. Einfach so. Ohne tamtam. Und mit einem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Denn Willy Sommerfeld ist Teil einer einmaligen Langzeitdokumentation. Jahrzehnte, die nun in einer Filmschachtel Platz finden. Heute ist "Onkel Willy aus Golzow" 47 Jahre. "In Gräfenhainichen will ich alt werden", sagt er. Als junger Spund hatte er einst große Pläne: "Wenn ick mit der Ausbildung fertig bin, mal sehen, dann will ich mich weiter disqualifizieren", spricht er stolz in die Kamera. Aufs Schiff wollte er gehen. Fischkutter fahren. Daraus wurde nichts. Das hat die Zeit gezeigt.

Sein langes Haar von einst ist kürzer geworden. Und grauer. Der Bauch ein wenig dicker. "Ich rauche nicht mehr", sagt er und Golzow ist weit weg.

Manchmal, wie am Wochenende, führt ihn der Weg in den Oderbruch - mit seinem Trabbi, der heute noch tuckert. Da war das erste so richtige Klassentreffen der 61-iger - und das Erinnern an die Momente vor der Kamera ganz nah. Jutta Sommerfeld und Sohn Kevin sind auch auf Zelluloid gebannt. "Als wir zusammen gegangen sind, war es schon komisch, dass andere mehr über mich wussten, als ich über sie", erinnert sie sich noch an den ersten Kontakt zu den Filmleuten. "Heute macht''s mir nichts mehr aus. Ich wusste doch, dass ich mit einem Filmhelden zusammenlebe", formuliert sie ironisch.

Manchmal passiert es, "wenn ich auf Achse bin, dass mir jemand auf die Schultern klopft und fragt: Bist du Onkel Willy?" erzählt der gelernte Schlosser, der heute als Kraftfahrer arbeitet und "sein Schiff" auf den Landstraßen steuert. Eine etwas trockenere Ausführung jenes Berufes, den er einst ausfüllen wollte. "Tja auf den Fischkutter bin ich nicht gekommen", meint er nachdenklich. "Macht aber nichts."

Dafür hat er noch in Golzow seine Frau Jutta kennen gelernt und folgte ihr in die LPG nach Gräfenhainichen. Noch vor der politischen Wende. Und als der Tag der Grenzöffnung näher rückte, sagte einst Willy Sommerfeld: Auch in Gräfenhainichen hat''s barbarisch gerüttelt, als das Volk auf die Straße ging. Ein Haushaltstag ging damals drauf. Für die erste Fahrt nach West-Berlin, weiß Ehefrau Jutta noch. Manchmal habe er 16 Stunden auf dem Mähdrescher zugebracht, die Ernte eingeholt. Das wäre auch heute noch so, wenn nicht alles anders kam. Die Diplom-Agraringenieurin arbeitet heute als Verkäuferin. Und "der nützliche Onkel Willy wurde nicht mehr gebraucht", heißt es in der Dokumentation. Doch nicht nur er. Auf dem Arbeitsamt traf man sich wieder. Einige von ihnen. An die Zeit in der Landwirtschaft denken beide gern zurück. Die Arbeit war hart, sagen sie. Doch die Sorgen von heute sind andere. "Angst um den Job hat man eigentlich immer", sind sie sich einig. Da gebe es keine Garantie-Urkunden. "Aber wir sind zufrieden." Zufrieden damit, in dem Haus zu wohnen, dessen Hülle heute noch in der Strohwalder Straße in Gräfenhainichen DDR-Charme versprüht. Kohlen zu tragen. Trabbi zu fahren.

"Warum gerade von ihnen erzählen? Warum eigentlich nicht."

Die Geschichte vom "Onkel Willy aus Golzow" wird am Mittwoch Abend im Fernsehen ab 23 Uhr bei B 1 ausgestrahlt.