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Leichte Mädels, schwere Jungs

Von Irina Steinmann 18.10.2004, 16:52

Wittenberg/MZ. - Gut ein Jahr ist es her, dass der Theaterjugendclub Chamäleon ein eigenes kleines Theater eröffnete. Die Presse jubelte. Zu früh, wie sich bald herausstellte. Denn schon wenig später scheiterten die jungen Schauspieler um Markus Schuliers und Dirk Lüdicke an den Sicherheitsbestimmungen der Baubürokratie. Aus der Traum vom Theater in der Collegienstraße 1 / 2. Kein Wunder also, dass sie diesmal nicht allzu viel Aufhebens machen wollten. Aber es ist so: Seit Sonnabend hat der TJC wieder eine feste Spielstätte, das "Kulturtheater Chamäleon" im früheren Ballettsaal des KTC.

Herausgekommen ist ein nettes kleines Studio-Revue-Theater, in dem das Publikum, Cocktail in der Hand, an Bistro-Tischchen sitzt und, sollte es mal langweilig werden auf der Bühne (was aber nicht zu erwarten ist), sich ins Studium der Tapete vertiefen kann. Eine einzige Zeitungslandschaft, hunderte Artikel, deren inneren Zusammenhang und versteckte Botschaften der technische TJC-Leiter Dirk Lüdicke stundenlang erklären könnte (kein Wunder, er hat die Collage fast im Alleingang geklebt), wenn er jetzt so kurz vor der Premiere nicht schon wieder hier und da und dort auch noch verlangt würde...

Zum Eröffnungsabend, der wie jede TJC-Premiere vorrangig vor Eltern-Publikum stattfindet und gut besucht ist, nun also eine Brecht-Revue: "...zweitens kommt dann noch der Liebesakt". Ganz unbekannt ist das Stück dem interessierten Wittenberger Publikum nicht. Eine erste Fassung des Nummern-Programms war schon zur "Nacht der Sinne" im Mai zu erleben und ist nun dramaturgisch weiterentwickelt und auf 70 Minuten ausgebaut worden. Es geht um Liebe, Romantik, Kummer, Elend, vor allem aber geht es um: Sex, Sex, Sex. Ums Ficken, um mit Brecht zu sprechen.

Der Meister konnte zwar auch romantisch ("Mein Herz ist wild wie die Wolke der Nacht"), mochte es offenkundig aber lieber derb. Wie liebt man einen Engel? "Schau ihm beim Ficken nicht ins Gesicht, und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht." Immerhin. Szenenapplaus gibt es - trotz durchaus unterschiedlicher Güte - für alle Gesangseinlagen wie etwa das Lied von der Seeräuberjenny oder die Zuhälterballade (schön kraftvoll: Kristin Schulze). Die Huren und ihre Herren nutzen für ihr verbales Treiben nicht nur die kleine Bühne, sondern auch den gesamten Zuschauerraum. Einem Lehrer im Publikum wird es ganz mulmig bei so vielen Liebesakten und frei flottierenden Geschlechtsteilen. Den 15-Jährigen in seiner Theatergruppe würde er derlei nicht vorsetzen.

"Die Kinder", erklärt Regisseur Markus Schuliers, "wollten wieder Brecht spielen." Das stimmt, sagt Katharina Schwerdt, neun Jahre alt wie auch Katharina Dammer, die erstmals mitspielt, oder Felix Kloß. Die Kleinsten sagen Gedichte auf. Ein unschuldiger Kontrapunkt zum sündigen Reden der Großen. "Jeden mit Glück zu erfüllen, das ist gut", hat Katharina Schwerdt auswendig gelernt. Sie macht ihre Sache routiniert. Aber wie sie da so sitzt im weißen Kommunionskleidchen, ein kleiner Engel ohne Flügel, möchte man mit ihr lieber keine Details der Revue diskutieren.