Interview Interview: Archivalien vor Zersplitterung
Oranienbaum/MZ. - Straffung der Organisation, Spezialisierung bei den Inhalten, so hatte die Magdeburger Staatskanzlei die Pressemitteilung zur Neuorganisation der staatlichen Archivverwaltung überschrieben. Danach beschloss das Kabinett von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) - im Vorgriff auf die Auflösung der drei Regierungsbezirke und die Veränderungen der kommunalen Strukturen -, die Landesarchive zu einem Landeshauptarchiv mit Sitz in Magdeburg zusammenzulegen.
Davon betroffen ist auch das Oranienbaumer Archiv, das nach dem Umbau des Wasserturms nach Dessau umzieht. Eben dort sollen sich dann sämtliche Wirtschaftsbestände mit den Überlieferungen von verstaatlichten und staatlichen Unternehmen aus den Standorten Magdeburg und Merseburg konzentrieren.
Die Aussage von Innenminister Manfred Püchel (SPD), die Gliederung des Archivgutes nach Aufgabenbereichen sei "gerade wegen ihrer Klarheit und einfachen Nachvollziehbarkeit besonders nutzerfreundlich", klingt vernünftig.
Doch welche Auswirkungen hat dieser Schritt? MZ-Mitarbeiter Andreas Behling sprach darüber mit dem promovierten Historiker und wissenschaftlichen Archivar Hartmut Ross.
Herr Ross, Sie waren nach 1945 der erste wieder direkt am Ort ansässige Leiter des Anhaltischen Landesarchivs Oranienbaum. Wie beurteilen Sie die neuesten Beschlüsse der Landesregierung zur Umstrukturierung des Archivs?
Ross: Notgedrungen muss ich dazu etwas in die Geschichte zurückgehen: Das Archiv des Herzogtums/Freistaates Anhalt war vor 1945 im Schloss Zerbst beheimatet, hatte in den Personen von Professor Wäschke und Archivrat Specht noch heute bekannte Leiter und ist das einzige zentrale Archiv eines Staates des Deutschen Reiches im heutigen Sachsen-Anhalt.
In der DDR-Zeit war es dem Archiv der ehemaligen preußischen Provinz Sachsen in Magdeburg unterstellt, behielt aber stets eine gewisse Selbstständigkeit.
Vor allem aber: Die anhaltischen Archiv-Bestände blieben innerhalb der Grenzen des ehemaligen Landes Anhalt und damit der Region erhalten.
Halten Sie demnach die nun beabsichtigte Angliederung an das Magdeburger Landeshauptarchiv für falsch?
Ross: Nein! Zwar wäre es schön, wenn das anhaltische Archiv, das durch die Wende seine volle Selbstständigkeit endlich zurückerhalten hatte, entsprechend dem historischen Gewicht seiner Bestände eigenständig bleiben könnte. Aber sowohl der Wegfall der Regierungsbezirke als auch der allgemeine Sparzwang lassen eine administrative Vereinigung der drei sachsen-anhaltischen Landesarchive durchaus erforderlich erscheinen. Es wird ja inzwischen der Dessauer Wasserturm für das jetzige Landesarchiv Oranienbaum mit hohen Kosten ausgebaut. Und ob der zukünftige Chef dort Direktor oder Außenstellen-Leiter genannt wird, ist völlig gleichgültig.
Also Zustimmung oder doch zumindest Verständnis für den Kabinetts-Beschluss?
Ross: Die organisatorische Zusammenlegung kann man akzeptieren. Was mit den Beständen geschehen soll, findet jedoch mein völliges Unverständnis. Die anhaltischen Archivalien werden nämlich zersplittert: Die Hauptbestände, staatliche Verwaltungen von Beginn bis 1945 betreffend, gehen nach Magdeburg, die Justizbestände nach Merseburg und nur die wenigen Wirtschaftsbestände bleiben in Dessau, wo zusätzlich Wirtschaftsbestände aus ganz Sachsen-Anhalt konzentriert werden sollen. Es entsteht also ein völlig neuer Archivkörper.
Und die Mitteilung der Staatskanzlei sagt die Unwahrheit, wenn sie behauptet, dass die bisherigen Landesarchive erhalten bleiben.
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