IG-Bad in Bitterfeld IG-Bad in Bitterfeld: Ein idyllisch gelegenes Areal, das heute verschwunden ist
bitterfeld - „Man mag gar nicht mehr gern hingehen.“ Horst Pollak meint das Gelände, wo er seine Kindheit verbracht hat. Und später einen Großteil seines Berufslebens als Schwimmmeister: das IG-Bad in Bitterfeld.
Doch daran erinnert seit Jahren nichts mehr. Das ist auch der Grund dafür, warum es den Rentner kaum noch dort hinzieht. Doch heute macht er eine Ausnahme.
Führt von der Leipziger Straße aus zu dem einstigen Areal für Badelustige, Schwimmsportler und Wasserballer - damals umgeben von einem idyllisch angelegten Park der Chemiearbeiter.
Vom ehemaligen IG-Bad fehlt heute jede Spur
Schon bei den ersten Schritten kann Pollak viel erzählen. „Hier links, also noch vor dem einstigen Bad, gab es ganz früher sogar ein Planschbecken. Das wurde später als Tanzfläche genutzt. Meistens mittwochs und sonnabends war da immer mächtig was los.“
Der Weg führt weiter bis zu einer Abbiegung nach links. Dort stand früher die Bauermeister-Villa. Auch von der fehlt heute jede Spur - bis auf eine Gedenktafel, die an die Bauermeisters erinnert.
Schließlich zeigt Horst Pollak auf eine große wild bewachsene Fläche mit Gras, Sträuchern und Bäumen. „Hier war es.“ Der heute 77-Jährige weiß noch genau, an welcher Stelle sich was befand.
Eine große alte Weide ist noch vom Friebad übrig geblieben
Das große Schwimmer-Becken mit internationaler Länge und damit geeignet für Wettkämpfe. Das Nichtschwimmer-Becken und die Duschanlagen, die Fußrinne und die Sprungbretter, der Sprungturm und die Rutsche.
„Da oben befanden sich die Umkleideräume samt Toiletten“, zeigt der Mann auf eine Anhöhe. „Auch der Kiosk war dort.“ Er geht hinauf und lässt den Blick über das Gelände schweifen.
Und sieht die große alte Weide an ihrem angestammten Platz - wohl das einzige übrig gebliebene Relikt, das an die Badeanstalt erinnert.
Ausstattung wie die des Olympia-Schwimmstadions in Berlin
Am 27. Juli 1939 wurde das Freibad der damaligen Bitterfelder IG-Werke in Betrieb genommen. Schon vorher waren „vorbildliche Sportanlagen“ für die Betriebssportgemeinschaft errichtet worden - das Bad war gewissermaßen das i-Tüpfelchen.
Es hatte ein Fassungsvermögen von 1.000 Personen und wurde allen modernen Anforderungen gerecht, wie es in geschichtlichen Aufzeichnungen beschrieben wird.
Die Startblöcke, der Sprungturm und die Sprungbretter für die Austragung von Wettkämpfen hatten sogar dieselbe Ausführung wie die Anlagen des Olympia-Schwimmstadions in Berlin. Eine große Liegewiese und eine terrassenförmige Blumenanlage umrahmten das Ganze.
Bad der Chemiearbeiter oder einfach IG-Bad
Nach der Umbenennung der Werke in Chemisches Kombinat Bitterfeld (CKB) erhielt auch das Bad diesen Namen und wurde oft auch als Bad der Chemiearbeiter bezeichnet.
Doch bei den meisten ist es immer das IG-Bad geblieben. Und eine äußerst beliebte und stets gut besuchte Einrichtung ist es während der gesamten Zeit seines Bestehens gewesen.
Das kann auch Horst Pollak bestätigen, der schon als Schuljunge hier zu Hause war und mit seinen Freunden viele schöne Stunden verbracht hat. Schnell wurde daraus eine Mitgliedschaft bei der BSG Chemie, bei der er erst Schwimmsport und dann Wasserball betrieb.
Unzählige Mädchen und Jungen haben im IG-Bad in Bitterfeld das Schwimmen gelernt
So kam es auch, dass sich der gelernte Kfz-Schlosser schon in den 1960er Jahren zum Schwimmmeister qualifizierte und als solcher fast bis zur Rente im Einsatz war - zuletzt im Roitzscher Volksbad.
In diesen Jahren haben er und seine Kollegen unzähligen Mädchen und Jungen das Schwimmen beigebracht. Auch Kornelia Ender gehörte dazu und hat dann hier fleißig trainiert, ehe sie zur Sportschule ging und später mehrfache Olympiasiegerin wurde.
„Bei ihr war ich damals sogar zum Polterabend, als sie Roland Matthes geheiratet hat.“ Auch der ging als Schwimm-Olympiasieger in die DDR-Sportgeschichte ein.
Industriestaub setzte sich auch im IG-Bad überall ab
Die Saison im IG-Bad begann immer am 2. Mai und lief bis Ende Oktober. Denn das Becken war beheizt. Und das zog die Wasserratten auch bei weniger schönem Wetter zu diesem Freibad, aus dem man die riesigen Anlagen und Schornsteine des Chemiestandortes im Blick hatte.
Wo auch Dreck und Gestank oft deutlich spürbar wurden. „Der Techniker hat jeden früh die Wege abgespritzt“, erzählt Horst Pollak. „Wenn er fertig war, konnte er meist von vorn anfangen. Denn auch der Kohlenstaub von der Holzweißiger Brikettfabrik zog bis auf das Gelände.“
Doch er kann auch andere Episoden erzählen. Beispielsweise von der Begeisterung, als der bekannte französische Schauspieler Gérard Philipe das Bad besuchte. Dreharbeiten für „Die Abenteuer des Till Ulenspiegel“ hatten ihn 1956 unter anderem nach Raguhn geführt, von wo aus er einen Abstecher nach Bitterfeld machte.
2001 schloss das Bitterfelder Freibad seine Pforten
Nach der Wende übernahm 1993 ein privater Pächter das Bad von der mittlerweile entstandenen Chemie AG. Bis 2001 hielt er durch, dann wurde ihm gekündigt. Noch im gleichen Jahr schloss das Freibad seine Pforten.
Dass es für immer sein sollte, war damals noch nicht abzusehen. Denn viele Jahre wurde um den Fortbestand diskutiert.
Doch das Vorhaben scheiterte, zu hohe Sanierungskosten und die bestehenden Grundwasserprobleme wurden als Hauptgründe ins Feld geführt.
2012 schließlich begannen der Rückbau des Bades und die Umgestaltung des mittlerweile verwilderten und morastigen Parkes zu einem „naturnahen Bereich“. Heute wird dort aber wohl kaum noch Hand angelegt. (mz)