Heimatgeschichte Heimatgeschichte: Von Wittenberg auf die Galeere
Halle/MZ. - Michael Heberer wurde zwischen 1555 und 1560 im kurpfälzischen Bretten geboren. Sein Vater war Ackerbürger und seine Mutter eine Nichte Melanchthons. Obwohl die Eltern arm waren, erhielt Heberer als begabtes Kind ein Stipendium und kam in die Fürstenschule bei Worms. Anschließend studierte er in Wittenberg Rechte, Latein und Philosophie, allerdings ohne einen Abschluss zu machen.
1580 war er Hauslehrer eines jungen schwedischen Grafen in Heidelberg. Nach dessen Rückkehr in die Heimat plagte ihn dann selbst die Reiselust: "und ich dazumal umb andere dienst mich zu bewerben / auß gewissen ursachen nicht gesinnet war / sondern viel mehr begierd hatte / frembde landschaften zu besichtigen. Derowegen trachtete ich nach einer gelegenheit in das Königreich Frankreich mich zu begeben." In Burgund trat er in den Dienst eines französischen Grafen und besuchte mit ihm unter anderem Paris. Von den Grausamkeiten der Hugenottenverfolgungen abgeschreckt, nahm er wieder seinen Abschied.
Der Graf gab ihm ein Empfehlungsschreiben an seinen Bruder mit, der sich als Malteserritter in Marseille aufhielt. Im Gefolge des Ordensritters kam Heberer dann nach Malta. Der Ritter, der seine Überfahrt bezahlt hatte, wollte ihn erst weiter reisen lassen, nachdem er sich auf einigen Kaperfahrten nützlich gemacht hatte. Mit einer guten Muskete und anderen Waffen versehen beteiligte sich Heberer also an einer ersten Fahrt an die nordafrikanische Küste.
Dort machten sie schnell gute Beute. Der zehnte Teil ging an den Orden und der Rest wurde nach Rangfolge verteilt. Auch Heberer scheint mit seinem Anteil zufrieden gewesen zu sein, denn er hatte keine Einwände, als er sich an einer zweiten, größeren Expedition beteiligen sollte. Im Mai 1585 fuhr Heberer auf einer von vier Malteser Galeeren nach Osten, um vor der ägyptischen Küste moslemische Levantefahrer zu jagen. Nach längerem Umherkreuzen stellten sie mehrere türkische Handelsschiffe.
Nach einem kurzen blutigen Gefecht streckten die Türken die Waffen und es begann das hemmungslose Plündern und Vergewaltigen. Erst das überraschende Auftauchen einer türkischen Flotte beendete die Orgie abrupt: "Da war groß seuffzen und wehklagen von den Weibern / so noch ganz nackend in dem Schiff waren. [...] Es war ein jämmerlicher anblick. Dann das Schiff und das Meer lag voller Todten Cörper / und entferbet sich von dem vergossenen blut."
Angesichts der feindlichen Übermacht zogen sich die Malteser Galeeren so schnell zurück, dass die Entermannschaft - ein buntes Gemisch aus über zehn verschiedenen Völkern - auf dem eroberten türkischen Schiff zurückgelassen werden musste. Außer Heberer befand sich auch noch der deutsche Landsknecht Georg Köpke aus Pommern an Bord. Zuerst hatten die Zurückgebliebenen noch Glück im Unglück. Die türkischen Galeeren übersahen ihre Anwesenheit auf dem eroberten Schiff und machten sich mit solchem Eifer an die Verfolgung der Malteser, dass sie mit dem eroberten Schiff flüchten konnten. Dennoch war die Lage alles andere als rosig. In dem zerschossenen Schiff, mit unzureichender Mannschaft, wenig Proviant und Wasser liefen sie vor der afrikanischen Küste Gefahr, einer feindlichen Galeere zu begegnen oder Schiffbruch zu erleiden.
Die Not an Bord wurde immer schlimmer, und als das Schiff schließlich von einem Sturm an die Küste getrieben wurde, musste es aufgegeben werden. Die Ordensritter und die anderen Adligen machten ihre Privilegien geltend und setzten sich mit den letzten Vorräten in einem kleinen Beiboot ab. Die anderen - noch ungefähr 40 Mann stark - versuchten ihr Glück an Land. Dort wurden sie jedoch bald von Arabern gefangen genommen, ausgeplündert und als Sklaven nach Alexandria verkauft. Ihnen wurden Bart und Haare abrasiert, zudem schmiedete man sie paarweise zusammen. Heberer ließ sich an seinen Köpke ketten.
Während des Winters waren sie in einem Gefängnis für Galeerensklaven - einem Bagno - untergebracht und wurden von ihren Wächtern tagsüber zur Arbeit in die Stadt geführt. Dort mussten sie zumeist alte Häuser abreißen. Dabei sammelten sie Holz, Metall und Lumpen. Diese Dinge durften sie auf eigene Rechnung verkaufen, um sich für das Geld im Bagno gekochte Bohnen als Zusatzration zu erwerben. Die Wachen, selbst arme Teufel, waren an diesen kleinen Geschäften selbstverständlich beteiligt. Deshalb führten sie ihre Sklaven auf dem Weg zur Arbeit oft durch den Markt, damit diese etwas stehlen konnten. Nachdem die Wächter die empörten Händler verscheucht hatten, wurde brüderlich geteilt. Aber der Winter im Bagno war auch in Alexandria hart. Viele Sklaven wurden krank und starben. Vor allem die arabischen Sträflinge litten furchtbar unter der Kälte. Im Frühling mussten die Sklaven dann die Galeeren frisch kalfatern. Nachdem der Rumpf mit Werg und Teer abgedichtet war, wurde er eingefettet. Für die Sklaven war das ranzige Fett ein willkommenes Zubrot, um sich abends eine Suppe davon zu kochen.
Nachdem die Zeit der Winterstürme zu Ende und die Galeere seeklar war, begannen die Fahrten zwischen Alexandria, den Levantehäfen und Konstantinopel. Heberer saß mit Köpke und zwei verurteilten arabischen Straßenräubern an einem Ruder. Da die beiden mit Sprache und Sitten noch unvertraut waren, bekamen sie reichlich Schläge und kamen beim täglichen Streit um Brot und Wasser, das je Ruderbank ausgegeben wurde, stets zu kurz: "Da nahmen die beide Mohren daß beste / und gaben mir und meinem Pommern / was die Meuß und Würm hatten außgenaget und ubergelassen / dessen wir uns mußten begnügen lassen / [...] und nach dem sie beyde genug gesoffen / und ihre schwartze Düssel drinn geweschen hatten / gaben sie uns zweyen die Grundsupp / Damit wir auch mußten zu frieden sein. War also unser ordentliche tractation, verdorben Brot / und desselben wenig / stinckend Wasser / und Streich genug."
Doch Heberer lernte schnell die notwendigen Überlebenskünste. Ein Franzose zeigte ihm, Strümpfe zu stricken. Für 2 Asper kaufte er sich eine Hammelhaut, schnitt die Wolle ab, wusch und spann sie. Daraus strickte Heberer drei Paar Strümpfe, für die er je nach Qualität und Nachfrage 30 bis 60 Asper bekam. Zum Vergleich: 120 Asper entsprachen einem Dukaten, drei Dukaten etwa einem Monatssold.
Erstaunt stellte Heberer fest, dass die meisten Sklaven zu faul zum Stricken waren. Mit der Zeit baute er sich zusammen mit dem Franzosen einen regelrechten Wollhandel auf. Dem folgte dann ein Weinhandel: Sie kauften eine Flasche und verkauften einzelne Becher an betuchte Sklaven oder Aufseher weiter. Die Wachen duldeten es, werden aber auch daran beteiligt gewesen sein.
Die armselige Existenz der Sklaven rief immer wieder Mitleid in der Bevölkerung hervor. Einzelne türkische Händler duldeten wohlwollend, wenn sie etwas stahlen, ein Jude steckte ihnen Brot zu. Ein anderer Jude in Alexandria, der in Schwaben geboren war, schenkte den beiden Deutschen eine Silbermünze. Vor allem aber erregten die Sklaven das Mitgefühl der Frauen. Als einmal eine Frau des Sultans die Galeere benützte, spendierte sie den Sklaven mehrmals zu Essen und am Ende der Reise jedem einen Dukaten, wovon allerdings der Kapitän und die Aufseher die Hälfte behielten. Während Bauarbeiten im Haus eines reichen Türken steckten ihnen die Frauen des Gesindes Essenreste, Brot und manchmal auch etwas Geld zu. Auch die Eunuchen im Serail versorgten sie aus Mitleid mit Reis und Fleisch.
Trotzdem war das Leben von unglaublicher Härte. Ständig starben Sklaven an Entbehrungen, Krankheiten oder einfach am "Kummer", wie Heberer schreibt. Im Winter mussten sie in der Nähe Konstantinopels Schnee in große Gruben füllen. Dieser wurde dann im Sommer, wenn er zu Eis geworden war, in der Stadt zum Kühlen der Getränke verkauft. Einige der halbnackten Sklaven erfroren, anderen verloren ihre Zehen und mussten trotzdem weiter arbeiten. Nachts wurden sie durchnässt auf der Galeere angekettet. Durch einen erfolgreichen Feldzug in Ungarn kam neuer Nachschub auf den Markt. Der Patron kaufte sieben kräftige Deutsche zum Spottpreis von 120 Dukaten. Da sie jedoch die Sprache nicht verstanden und auch das Essen nicht vertrugen, starben bereits in den ersten zwei Wochen drei von ihnen aus Hunger und Verzweiflung.
Die Sklaven hatten nur drei Möglichkeiten, dem vorzeitigen Tod zu entkommen: den Übertritt zum Islam, die Flucht oder den Freikauf. Die Gesandten der christlichen Staaten und einige religiöse Orden kauften ständig Sklaven frei. Nur war dies - angesichts der Masse der Gefangenen - eine äußerst geringe Hoffnung. Andere wurden Moslem. Viele dieser christlichen Renegaten führten ein angenehmes Leben. Heberer traf in Alexandria und Konstantinopel mehrfach auf italienische, spanische und deutsche Renegaten.
Am schwierigsten war die Flucht. Ohne Einheimische Helfer war sie praktisch aussichtslos und den wieder eingefangenen Sklaven drohten drakonische Strafen. Manchmal halfen Landsleute. In Alexandria begegneten Heberer und Köpke zwei Büchsenmeister aus Bremen, die auf einer genuesischen Galeere dienten. Einer von ihnen kannte Köpke vom gemeinsamen Kriegsdienst in Portugal und schenkte ihm eine Feile. Lange schmiedeten die beiden Pläne und warteten auf eine günstige Gelegenheit. Die ergab sich aber erst, als sie den in Konstantinopel ansässigen Goldschmied Hans Rattich aus Pommern trafen. Rattich kümmerte sich um seine Landsleute, steckte ihnen Proviant und Geld zu. Als Köpke mit Hilfe der Feile in einer dunklen Nacht die Flucht gelang, verbarg ihn Rattich so lange in seinem Haus, bis Haare und Bart wieder gewachsen waren. Anschließend wurde der Flüchtling auf ein griechisches Schiff geschmuggelt, mit dem er wieder nach Malta kam.
Heberer blieb zurück. Als gebildeter Mensch verlegte er sich auf Bittbriefe und Gesuche an die Gesandten in der Stadt, während Rattich und ein deutscher Renegat die Boten spielten. Zunächst erlebte er eine Enttäuschung. Der kaiserliche Gesandte war nicht bereit, Protestanten auszulösen. Heberer wandte sich daraufhin an die Franzosen. Von seinen Reisen kannte er französische Adlige, und außerdem war die Kurpfalz mit Frankreich verbündet. Nach einem ausgiebigen Schriftwechsel war es dann endlich so weit und Heberer wurde durch den französischen Gesandten losgekauft. Da er so eine "arme, elende Creatur" war, konnte der Preis sogar auf 100 Dukaten gedrückt werden.
Drei Jahre hatte er als Galeerensklave gelitten. Trotzdem hatte er es nicht eilig mit der Heimreise. Er hielt sich noch einige Monate in der französischen Botschaft auf und nützte die Zeit, um sich Konstantinopel anzusehen. Er reiste über Malta und Spanien nach Italien, wo er in Padua sein Jurastudium beendete. 1589 kehrte er nach Heidelberg zurück und erregte als Türkenkämpfer und ehemaliger Sklave größtes Aufsehen. Am Hof des Kurfürsten berichtete er von seiner Odyssee und erhielt sogar eine gut bezahlte Stellung am Hofgericht. Jahre später begann er damit, seine Erlebnisse schriftlich zu bearbeiten, die dann 1610 unter dem Titel "Aegyptiaca Servitus" erschienen.
Dieser Bericht ist mit freundlicher Genehmigung aus dem Internet entnommen.