Gegen das Vergessen Gegen das Vergessen: Das Herz schlägt für das weggebaggerte Döbern

Bitterfeld - Vom Fritz-Heinrich-Stadion aus, sagt Roland Lüders und zeigt Richtung Pouch, hätten sie ihr Dörfchen gesehen. Wenn es noch stehen würde. 1983 allerdings wurde die 500-Seelen-Gemeinde Döbern weggebaggert - weil sie auf der Kohle stand.
Jetzt haben die einstigen Einwohner nur noch die Erinnerung an das, was war. Und die, das wissen die Geschwister Sieglinde Schröter, Roland Lüders, Heidrun Alboth und Ritta Görisch, die heute in Jüdenberg, Dessau, Coswig bei Dresden und Bitterfeld leben, ganz genau, die bewahren sie sich tief im Herzen.
Und so wie sie sehen das Hunderte. Die Döberner stemmen sich gegen das Vergessen - unter anderem mit dem Döbern-Treffen, das jetzt in Bitterfeld stattfand. „Ich komme jedes Jahr“, sagt Ritta Görisch, „damit man sich mal wieder sieht.“ Den Gedanken haben hier natürlich alle - rund 500 übrigens.
Denn wäre alles wie in tausenden anderen Orten verlaufen, würden wahrscheinlich auch die Döberner oder die Niemegker oder Zöckeritzer Nachbarn noch nebeneinander wohnen, würden miteinander reden und lachen und streiten, sich helfen oder sich aus dem Wege gehen. So aber mussten sie sich in Bitterfeld und Holzweißig, in Sandersdorf und anderswo neu einrichten und finden.
Gram, Wut, Verzweiflung
„Obwohl wir Kinder zeitig aus dem Haus sind und das Umsiedeln nicht mehr selbst miterlebt haben, ist das auch für uns traurig gewesen“, sagt Sieglinde Schröter. „Das macht mir heute noch was aus. Wir sind ja immer alle bei den Eltern zusammengekommen - in unserem so schönen Garten. Und plötzlich war das vorbei.“ Heidrun Alboth und ihr Mann wollten selbst in Döbern bauen. „Aber dann hieß es Baustopp.
Und dann plötzlich durfte wieder gebaut werden. Tja, und dann...“ Sie erinnert sich an Döberner, die der kurzen Sicherheit vertraut und ein Haus gebaut hatten. „Ganz furchtbar ist das für die Familien gewesen.“
Und bei weitem nicht alle haben es verkraftet, zusehen zu müssen, wie ihr Haus unter den Bagger kommt. Manch einer nahm sich das Leben - aus Gram, Wut, Verzweiflung. Andere wieder waren glücklich über ihre neue Wohnung, die sie bekommen hatten - wo das Wasser aus der Wand kam und die Heizung nur angedreht werden musste.
Roland Lüders ist neulich mit Kollegen auf der Goitzsche geschippert, erzählt er. „Dort, wo die Döberner Kirche stand, soll eine Boje eingesetzt werden, hat der Kapitän erzählt“, sagt er. Das fände er schön. Jetzt erinnern Findlinge, ein Kreuz, Gedenktafeln an die verschwundenen Orte.
Ausstellung gestaltet
Sechs waren es allein, die die Goitzsche verschluckt hat. Annelies Weigert, die selbst in Döbern aufgewachsen ist, liegt die Geschichte nicht nur der Orte sondern vor allem derer, die dort zu Hause waren, am Herzen. Sie hat ein Buch geschrieben und mit Leuten geredet, ihre Geschichten notiert, Bilder gesammelt und eine Ausstellung gestaltet.
„Die Leute wollten alle das Buch, sie wussten gar nicht, was drinsteht. Aber sie standen Schlange wie beim Bäcker“, sagt Annelies Weigert und lacht fröhlich, wenn sie so zurückblickt. Immer mehr sind es geworden, die sie unterstützen und dazu beitragen, dass so viel wie möglich bewahrt bleibt.
Auch Lehrer Otto ist zum Döbern-Treffen gekommen. Eine Legende! „Das ist doch mein Dorf“, sagt der 92-Jährige. Döbern ist seine erste Stelle als Neulehrer gewesen. „Was haben wir Mädchen mit 13 für ihn geschwärmt“, gibt Margot Seifert zu und verrät lachend ein kleines Geheimnis. Jahre später dann, sagt sie, sind ihre Pfingstrosen dreimal umgezogen - immer vor den Abriss-Baggern her. Jetzt stehen sie in Bitterfeld. Für immer. (mz)