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Flüchtlinge in Anhalt-Bitterfeld Flüchtlinge in Anhalt-Bitterfeld: Wolfener Hotel bleibt vorerst leer

Von lisa garn und detmar oppenkowski 10.12.2015, 08:24
Landrat Uwe Schulze (CDU, 2. v. r.) rief die rund 400 Einwohner auf, die Integration zu fördern.
Landrat Uwe Schulze (CDU, 2. v. r.) rief die rund 400 Einwohner auf, die Integration zu fördern. André kehrer Lizenz

wolfen - Der Landkreis wird bis auf Weiteres keine Flüchtlinge mehr auf die Kommunen verteilen. Das hat Landrat Uwe Schulze (CDU) am Dienstagabend im Kulturhaus Wolfen verkündet. Grund seien die insgesamt rückläufigen Zahlen. Das Land Sachsen-Anhalt werde bis Januar keine Asylsuchenden zuweisen. Damit wird auch das Big Hotel in Wolfen nicht ab Januar genutzt. Landkreis und OB Petra Wust (parteilos) informierten während der Einwohnerversammlung zur Situation der Unterbringung in Anhalt-Bitterfeld und in der Stadt Bitterfeld-Wolfen. Die Veranstaltung mit rund 400 Gästen verlief ohne Zwischenfälle, Kritik von Bürgern wurde dennoch laut. Die MZ fasst die wichtigsten Fragen im Überblick zusammen.

Der Landkreis wird 2015 bis zum Jahresende voraussichtlich 2.000 Menschen aufgenommen haben. Ursprünglich war die Verwaltung von rund 2.200 Flüchtlingen ausgegangen. Derzeit leben etwa 1.900 Flüchtlinge in Anhalt-Bitterfeld, davon zirka 670 dezentral in Bitterfeld-Wolfen. Der Großteil in der Kommune ist mit rund 570 in Bitterfelder Wohnungen untergebracht. In Wolfen steht ab Januar das Big Hotel mit 170 Plätzen zur Verfügung.

„Warum kündigen Sie den Konsens auf, dass Bitterfeld-Wolfen nicht weiterhin überproportional belastet werden soll?“, fragte Stadtrat Werner Rauball (Linke) den Landrat mit Blick auf die Unterkunft im Big Hotel Wolfen. Schulze führte dagegen die Verteilung bezogen auf die Einwohnerzahl an. Die liege in der Kommune bei 1,64 Prozent. Zudem entstünden derzeit weitere Gemeinschaftsunterkünfte, beispielsweise in Köthen. „Es gibt eine Verteilung und darauf werde ich weiter achten. Und man kann nicht sagen, dass Wolfen überbelastet ist.“ Der Landkreis setze zwar weiterhin auf eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen. „Aber sollten die Zahlen wieder ansteigen, brauchen wir eine Übergangslösung. Das wäre das Big Hotel in Wolfen.“ Eine Optionsvereinbarung für das Objekt besteht, ein Mietvertrag wurde noch nicht unterschrieben. Vor einem Bezug solle informiert werden. Schulze verwies zudem darauf: „Es ist meine gesetzliche Pflicht, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Und das mache ich. Das müssen auch andere Landräte - egal, aus welcher Partei.“ Beschlagnahmungen von Wohnungen schloss er am Dienstag aus.

„Es kommen meistens Männer, aber inzwischen auch mehr Familien“, erklärte Frank Tiefenbach vom Ordnungsamt des Landkreises. „Die wöchentlichen Transfers kommen vom Land. In der Zentralen Aufnahmestelle werden diese zusammengestellt. Darauf haben wir keinen Einfluss.“ Es seien nicht mehr vornehmlich Asylsuchende aus den Balkanstaaten darunter, sondern vor allem aus Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea.

Diese Frage bewegte einige Bürger am Dienstagabend. Die Sorge vor einem Anstieg an Straftaten kippte teilweise in Vorurteile und Panikmache. Michaela Lange, Leiterin des Polizeireviers Anhalt-Bitterfeld, stellte Fakten dagegen: Bis Ende November dieses Jahres sind 12 500 Straftaten verübt worden, 300 mehr als im Vorjahresvergleich. „Es ist ein leichter Anstieg, aber wir haben jedes Jahr Schwankungen. Und es heißt nicht, dass dies mit mehr Flüchtlingen im Landkreis zu tun hat.“ Zehn Prozent der ermittelten Täter seien Ausländer. „Der Großteil sind durchreisende aber Täter aus dem osteuropäischen Raum.“ Fünf Sexualdelikte seien bekannt, die nicht von ausländischen Personen begangen wurden. Sie warnte zudem: „Gerade über Facebook wird viel Mist verbreitet und Panik geschürt.“ Man sehe keine höhere Gefahr als bei Deutschen, dass Flüchtlinge straffällig werden. In Unterkünften oder im Umkreis davon habe „man keine Probleme“. „Und wenn, dann sind es eher Auseinandersetzungen untereinander. Es gibt kein höheres Kriminalitätsaufkommen als anderswo.“ Einen Vorfall gab es allerdings Ende November: Fünf deutsche Jugendliche mit Baseballschlägern hatten vor der Notunterkunft in Köthen für Unruhe gesorgt.

„Es gab bis jetzt 221 Angriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte. Wie soll das hier verhindert werden?“, fragte ein Einwohner. „Bei dem Klatschen und Lachen, das heute an mehreren Stellen zu hören war, ist das bei uns nicht auszuschließen“, meinte er. Und Polizeirevierleiterin Lange erklärte zur Sicherheit der Unterkünfte im allgemeinen: „Der Betreiber stellt einen Wachdienst. Von unserer Seite gibt es eine verstärkte Bestreifung der bestehenden und geplanten Objekte und täglich Kontakt mit Verantwortlichen. Aber wir können nicht rund um die Uhr vor Ort sein.“

Die Kosten für Unterbringung und Versorgung stellt der Landkreis dem Land in Rechnung. Eine genaue Summe für 2015 konnte Schulze am Dienstag nicht nennen. Etwa 8 700 Euro zahlt das Land als Pauschale pro Flüchtling im Jahr. „Und ich setze darauf, dass bezahlt wird, was wir geleistet haben“, so Schulze. Allerdings überstiegen die Kosten die Pauschale. Unter anderem, weil sich der Markt verändert habe und sich Preise, beispielsweise für die Ausstattung von Unterkünften, erhöht hätten. „2016 müssen wir mit dem Land darüber verhandeln, dass diese Mehrkosten gedeckt werden.“ Zu den Barauszahlungen an Flüchtlinge: In Anhalt-Bitterfeld bekommt eine erwachsene Person rund 330 Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, erklärte Diane Gardyan, Koordinatorin für Flüchtlingshilfe im Kreis. In der Notunterkunft in Köthen verringert sich dieser Betrag, weil dort zentral verpflegt wird und dies abgezogen wird. Für Partner und Kinder gibt es nach unten gestaffelt weiteres Geld.

„Wir müssen lernen, miteinander auszukommen und unser jeweiliges Anderssein zu akzeptieren“, so Schulze. Genauso wie hiesige Bürger andere Lebensweisen und Traditionen annehmen, sollten sich aber auch Flüchtlinge auf ihr Gastland einlassen. „Da geht es nicht, dass man ankommt und gleich fordert. Ich erwarte einfach von jedem, dass man sich anständig verhält.“ Man müsse sich von Anfang an um die Asylsuchenden kümmern. „Wenn wir sie in den Unterkünften sitzen lassen, fern der Heimat und ohne Aufgabe, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie auf dumme Gedanken kommen.“

Vom Betreiber einer Unterkunft wird die soziale Betreuung organisiert. Basis für die Integration seien Deutschkurse. Dafür bestehen Angebote unter anderem der Agentur für Arbeit, über das Land, Freiwillige und Einrichtungen im Kreis. „Integration gelingt genauso durch Arbeit. Wir müssen sehen, wie und wo wir Flüchtlinge einsetzen können. Und natürlich brauchen wir Vereine und Verbände, die auf sie zugehen“, so Schulze.

Die Bürger in Wolfen hatten viele Fragen.
Die Bürger in Wolfen hatten viele Fragen.
André kehrer Lizenz