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Flachglas aus Thalheim Flachglas aus Thalheim: Guardian nimmt neuen Ofen in Betrieb

Von Christine Färber 28.07.2017, 15:09
Hier schwimmt bei Guardian das flüssige Glas auf flüssigem Zinn, das Glas wird als fortlaufende Bahn gezogen.
Hier schwimmt bei Guardian das flüssige Glas auf flüssigem Zinn, das Glas wird als fortlaufende Bahn gezogen. Archiv/Kehrer

Thalheim - Der Volksmund weiß es ja immer: Glück und Glas schnell bricht das. Er weiß es eben nicht besser. Guardian, der amerikanische Flachglas-Hersteller in Thalheim, der schon.

Millionen-Investition sichert Arbeitsplätze

Mit der zweistelligen Millionen-Euro-Investition für einen neuen Ofen wird das Glück dort draußen kurz vor der Autobahn nämlich eher noch gefestigt. Das ist ein Stück Zukunft. 310 Beschäftigten wird das über Jahre hinaus Arbeit sichern.

Der alte Ofen, sagt Europa-Manager für Produkt- und Anwendungsentwicklung, Ralf Greiner, hatte mit sage und schreibe 20 Jahren Dauerfeuer die längste Ofenreise, die es bei Guardian je gab. Geplant war die acht Jahre kürzer. Dass die Investition jetzt am hiesigen Standort im Spiegel einer gewaltigen Konkurrenz zustande kam, war nicht von Anfang an sonnenklar.

Baustoff Glas ist angesagt wie nie

Doch ist die Nachfrage aus der Baubranche zurzeit gewaltig. Gerade in Deutschland. Und sie wird weiter wachsen. Der Baustoff Glas ist angesagt wie nie - veredelt nach allen Regeln der Kunst, so dass er neben optischer Schönheit auch Schutz bietet gegen Hitze, UV-Strahlung, gegen Lärm, Zersplittern und mehr. Die Thalheimer wissen, was Architekten wollen.

Seit Mai, nach nur 110 Tagen Bauzeit, schlägt das neue Herz von Guardian. Alles ist im Fluss - im wahrsten Sinne. In den Wochen davor war viel zu tun, denn einen Glas-Ofen, der mit 1 500 Grad ununterbrochen powert, den schaltet man nicht mal einfach so ab. Da muss zunächst das Glas abgeleitet werden. Schon allein das dauert drei bis vier Tage. Dann kühlt der Ofen ab, auch das geht nicht über Nacht.

Kurzes Zeitfenster für normalerweise unmögliche Arbeiten

Während das Bauwerk dann endlich abgerissen und neu aufgebaut werden kann, öffnet sich ein kurzes Zeitfenster für all die Arbeiten, die unter laufendem Betrieb nicht erledigt werden können: „Das Zinnbad wird abgelassen und auf den letzten Stand gebracht, alle Teile werden auf Herz und Nieren geprüft, der Kühlkanal gewartet“, erklärt Greiner.

Er ist fasziniert vom Handwerk: „Der Ofen wird gemauert wie ein Haus. Aus Schamottsteinen und speziellem Mörtel. Es entsteht ein richtiges Gewölbe. So groß, dass man drin stehen kann.“ Und dann kommt der Moment, in dem die Flamme gezündet wird. „Wie ein Gasanzünder“, meint Greiner. Doch: Wer das miterlebt, wenn einem so gewaltigen Ofen das Leben eingehaucht wird, den beschleicht schon ein Hochgefühl, gibt er zu.

Produktionshalle ist über 500 Meter lang

Er und Projektingenieur Gerald Jänicke erleben das zum zweiten Mal. Sie sind schon dabei gewesen, 1996, als im November die erste Flamme entzündet wurde. „Das nochmal zu erleben, das ist schon was“, sagt Jänicke.

Ach was - brüllt er. Denn in der über 500 Meter langen Halle, in der das Endlos-Glasband mit 1 500 Grad aus dem Ofen zunächst über ein Bad aus flüssigem Zinn, später über Hunderte Rollen im Abkühlkanal gleitet, ist es nicht nur wahnsinnig heiß, es ist auch irre laut. Also: Jänicke, der ursprünglich in der Filmfabrik gearbeitet hat, hat das Floatglaswerk hier mit aufgebaut. Eine Herausforderung, sagt er, und ein absolutes Highlight für die Region.

Das Projekt Ofen, das war damals seine Sache und diesmal auch. „Es ist eine Freude, wieder sowas Neues hinzusetzen“, sagt Jänicke, „es ist ja auch mit einer neuen Technologie verbunden. Und: Über 100 Firmen waren hier zugange.“

Seit Himmelfahrt feuert der neue Ofen

Seit Himmelfahrt feuert der neue Ofen und er spuckt das erste Glas aus. Das übrigens wird nicht nur aus Sand, Dolomit, Kalk, Soda, Natriumsulfat etc. hergestellt sondern aus Scherben. Die fallen hier ganz natürlich an - wenn die Perforation zum Ziehen des Glasbandes abgetrennt wird oder der Laserscanner irgendwo eine Unreinheit feststellt und das fehlerhafte Stück ausschneidet. Zehn Prozent der Produktion sind so Scherben, ein wichtiger Ausgangsstoff für neues Glas, wie Greiner erklärt.

Wer allerdings denkt, die Glasproduktion kann nach vier Monaten Stillstand wieder nahtlos anknüpfen, wo sie aufgehört hat, der irrt. Es dauert Wochen, bis der Ofen auf Touren kommt und die Qualität wieder stimmt. Und auf nichts anderes kommt es hier letztlich an.

Neuer Ofen erhöht die Kapazität um etwa 20 Prozent

Natürlich bietet die Investition noch mehr: Wurden bis dato rund 600 Tonnen Glas im Jahr in Thalheim hergestellt, wurde die Kapazität um ungefähr 20 Prozent erhöht. Zudem braucht der Energiefresser deutlich weniger Gas. Und nicht zuletzt hat sich durch eine neue Filteranlage, die fast zeitgleich in Betrieb ging, der Ausstoß von Produktionsabgasen deutlich verringert.

Thalheim übrigens war 1996 das sechste Flachglaswerk, das der US-Konzern Guardian in Europa errichtet hat. Die neuen Investitionen sind Voraussetzung für Wachstum. Die Leute wollen heutzutage Licht im Haus - also große Fensterflächen mit hervorragenden Eigenschaften. (mz)