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Eisiger Hauch der Macht Eisiger Hauch der Macht: Mit Bitterfelds Ex-Gefängnis verschwindet auch Stadtgeschichte

Von Frank Czerwonn 03.08.2019, 07:00
Wunderschöne Steingutfliesen schmücken den Boden des Flurs. Von hier gehen die kargen Zellen ab. Die Türen haben Guckloch und Riegel.
Wunderschöne Steingutfliesen schmücken den Boden des Flurs. Von hier gehen die kargen Zellen ab. Die Türen haben Guckloch und Riegel. André Kehrer

Bitterfeld - Ein unscheinbarer Ziegelbau verfällt im Hof des Bitterfelder Amtsgerichts. Doch seine Tür ist die Schwelle zu einer vergangenen Zeit. Tritt man ein, weht einem kühle Luft entgegen. Der eiskalte Atem der Macht lässt Gruselstimmung aufkommen. Denn das Gebäude beherbergte einst das Gefängnis. Bald ein dreiviertel Jahrhundert ist das her. Doch alles ist noch da: die düsteren Zellen, die großen Riegel, die verrosteten Gitterstäbe, das Waschverlies, die Wärterräume. Das ist eine echte Rarität. Bald aber wird dieser Teil der Stadtgeschichte verschwunden sein. Das Gefängnis weicht dem Erweiterungsbau des Amtsgerichts.

„Eigentlich wollten wir den Ziegelbau, dessen Substanz gut ist, in den Neubau integrieren“

Gerichtsdirektor Matthias Paterok bedauert das. „Eigentlich wollten wir den Ziegelbau, dessen Substanz gut ist, in den Neubau integrieren.“ Doch habe sich gezeigt, dass er sich mit der Raumstruktur nicht vereinbaren lasse. Nächsten Sommer schlägt deshalb das letzte Stündlein des „Gefangenenhauses“, wie es laut Steven Pick vom Kreismuseum 1881 in der Zeitung genannt wurde. Erbaut wurde es parallel zum Gerichtsgebäude, also 1878/79.

Geht man durch die halbdunklen Gänge, an denen links und rechts die Zellen liegen, scheint die Zeit erstarrt: Graublau gestrichene Zellentüren mit Eisenbeschlägen und Guckloch, drinnen vergitterte Fensterchen, abgewetzter Holzboden, an der Wand die Halterung für die Pritsche. In manchen ein Ofen. Schwere Gitter trennen den Gefangenentrakt vom Verwaltungsbereich. Ebenso ist das Treppenhaus sicher abgesperrt, auch wenn die Farbe abblättert. Die Schichten führen durch die Zeiten: Auf hellere Töne in der Weimarer Republik folgten dunklere Anstriche. Den Fußboden der Gänge zieren bunte Steingutfliesen der Bitterfelder Firma Polko. „Einige seltene Exemplare hat das Kreismuseum bereits gesichert“, so Paterok.

Fünf Zellen gibt es im Erdgeschoss, sechs oben - für einzelne oder mehrere Insassen. Auch eine Arrestzelle mit Verdunklung fehlt nicht. Dort ist Licht Mangelware, die Liegestatt gemauert und extrem schmal. Im Waschbereich gibt es drei Duschen und eine Badewanne. In der Ecke steht noch immer ein inzwischen rostender Badeofen zum Anheizen.

Ein Eimer in der Zelle musste Gefangenen für die Verrichtung der Notdurft reichen

Toiletten dagegen sind Fehlanzeige. Nicht mal ein Plumpsklo gab es. Ein Eimer in der Zelle musste Gefangenen für die Verrichtung der Notdurft reichen. Diese wurden dann in einem runden Becken mit nach unten führendem Rohr zentral entleert.

Schwer vorstellbar, dass hier Menschen jahrelang einsaßen. Laut Paterok war das wohl auch nicht der Fall. „Hier waren eher Kurzzeitgefangene inhaftiert bis zum Prozess oder bei kleineren Strafen.“ Ähnlich wie im Gefängnis, das sich seit Ende des 18. Jahrhunderts im Zörbiger Schloss befand. „Hier saßen Häftlinge bis vier Wochen ein, bevor sie in größere Gefängnisse wie Waldheim transportiert wurden“, erzählt Stefan Auert-Watzik vom Schloss. Als während des Zweiten Weltkrieges die Kreisstrukturen geändert wurden, schloss das dortige Gefängnis. Nun kamen alle nach Bitterfeld.

2017, während der dortigen Ausstellung zur Justiz im Nationalsozialismus, konnten Besucher die alten Hafträume betreten. Da wurden konkrete Fälle dokumentiert und nachgewiesen, dass das Gefängnis in der NS-Zeit übervoll war. Paterok meint, dass auch nach dem Volksaufstand 1953 viele hier einsaßen. Doch etliche Details der Knastgeschichte verschwanden im Nebel der Vergangenheit. 1956/57 soll das Gefängnis geschlossen worden sein. „Später wurde es von der Zivilverteidigung genutzt“, sagt Paterok. Vor Jahren habe man beim Aufräumen noch alte Gasmasken und Schießscheiben gefunden. Zuletzt diente es als Archivraum. „Nun sind wird dabei, es zu räumen“, sagt Paterok. (mz)

Die Arrestzelle mit gemauerter Liege
Die Arrestzelle mit gemauerter Liege
André Kehrer