Egon Günther Egon Günther: Die Schlüssel des Schlossers
Wittenberg/MZ. - Dieses Buch habe ihm und anderen Häftlingen eine Menge bedeutet, sagt Unruh zu dem Mann auf dem Podium. "Das ist mir sehr angenehm zu hören, dass es im Gefängnis kursierte", antwortet Egon Günther.Den Nachgeborenen mag derMann, der an diesem Donnerstagabend - weißes Stoppelhaar,Schnauzbart, Jeansjacke - nebenFriedrich Schorlemmer seine "Lebenswege" zurückverfolgt, vielleicht kein Begriff sein, die Älterenaber kennen und schätzen den bald77-Jährigen etwa als Defa-Regisseur von "Lotte in Weimar" (1975)oder den "Leiden des jungen Werthers" (1976). Beide sind indes weniger Produkte einer Leidenschaftfür Klassiker, sondern "Auftragswerke", Notlösungen, wenn man so
will: "Es sind Drehbücher nicht gedreht worden, die die DDR-Gegenwart betrafen." Günther-Filme wie "Die Schlüssel" (1974) wiederum, an die sich das Publikum lebhaft erinnert, hatten auf dem Weg in die Öffentlichkeit zumindest mit Behinderungen zu kämpfen. Was soll uns die Geschichte eines toten DDR-Mädchens in Polen?, murrten die Kulturfunktionäre. Heute, und daran lässt der Professor aus Babelsberg nun auch keinen Zweifel, sind die Beschränkungen anderer Natur: Sie heißen Geld und Quote und sind der Grund, warum er seit drei Jahren keinen Film mehr gedreht hat. Obwohl das Drehbuch lange fertig ist. Es handelt von Nietzsche und könnte - trotzdem - "ein sehr unterhaltsamer Film werden. Ich", es klingt wie eine Beschwörung der anonymen Geldverweigerer, "würde das gerne sehen".
Doch das Wühlen in der Vergangenheit, verbunden mit larmoyanten Spitzen gegen die Gegenwart scheint seine Sache nicht. Der Schlosser aus dem Erzgebirge, der 1948 per Arbeiter-Studium ("vielleicht das einzig Gute an der DDR") in die Leipziger Germanistik des Hans Meyer und auch in die Seminare von Ernst Bloch gelangte - in Wittenberg gibt er auf bescheiden-nachdenkliche Art lieber Auskunft über seine Arbeit, den Umgang mit Schauspielern etwa.
Günther, für den ein Drehbuch "nur ein vorläufiges Notat" sein kann, lässt ihnen Raum. Wenn man Schauspieler entmündigt, ihnen alles vorschreibt, bringt man sie nur auf die Idee, dass sie ja bloß spielen ("Schauspiel ist der Lüge verwandt"). Und so hat er Jutta Hofmann die lange Leine gelassen und Klaus Löwitsch auch. Hat gesagt: "Machen Sie nicht, was ich Ihnen sage", und deshalb haben sie auch mitgespielt, wenn er nach einem harten Drehtag kundtat: "Es war ganz prima - machen wir es noch mal." Und wie Egon Günther so plaudert aus seinem "Atelier", würde man tatsächlich gern mal einen neuen Film von ihm sehen - und sei es über Nietzsche.