Dornröschen und der Handy-Prinz
Wittenberg/MZ. - Das ist auch der Grund, warum er nach Wittenberg gekommen ist: "Ich fahre immer hin, wenn ein Stück von mir irgendwo das erste Mal gespielt wird." Streul hat es offenbar nicht bereut. Der Rest des Publikums übrigens auch nicht.
Mit ihrer ersten Eigenproduktion, dem "Familienmusical Dornröschen" in der Regie von Dieter Freydank, setzt die "Phönix-Theaterwelt Wittenberg" vorrangig auf die Leistung der ehemaligen Sänger des Mitteldeutschen Landestheaters. Viola Preisendanz als abgrundtief böse Fee und Schwester der guten Hermine (Nami Matsumoto) reißt die Königsfamilie (Lars Unruh, Karin Freydank und Franziska Faust) mit Schmackes ins Verderben, aus dem - so ist das im Märchen - nur ein tapferer Prinz (Mario Welker) Dornröschen retten kann. Und Rolf Kober gelingt es als steppender Hofkoch, seine humorvollen Neigungen voll auszuspielen - mit Vorliebe im Duell mit der Musikmeisterin (Susanne Loose), deren Keyboard mal Spinett, mal Klavier und mal Schlagzeug ist. Dabei verhehlt die musikalische Darbietung die Nähe zur Oper nicht, im Gegenteil gibt es Reminiszenzen etwa an "Die Zauberflöte" - wobei ein Finale im mitreißenden Rhythmus des Rock'n'Roll das andere Ende der Skala markiert.
Auf den Geschmack Erwachsener - schließlich handelt es sich um ein "Familien"-Musical - zielen unterdessen kleine kabarettistische Zutaten wie etwa der Kohl aus Oggersheim im Gemüsetopf des Kochs. Gelbe Säcke und ungeklärte Eigentumsverhältnisse. Oder der launige Hinweis der Königin an den Gatten, der sich Sorgen macht, weil er 100 Jahre verschlafen hat. "Da bist du nicht der einzige Politiker", tröstet die Monarchin.
Was das Wittenberger "Dornröschen" des Advents 2004 gegenüber anderen Weihnachtsmärchen auszeichnet, ist neben dem Vertrauen auf die Kraft der Musik das Spiel mit den Insignien der modernen Zivilisation. Das scheint nur konsequent: Immerhin liegen 100 Jahre zwischen dem Spindelstich und der Befreiung aus dem Rosenschloss (phantasievoll errichtet übrigens aus einem NVA-Tarnnetz). Da zückt der Prinz hektisch sein Handy und schlüpft die böse Fee ins Business-Kostüm der Firma "Hai-Immobilien". Da pflegt das Prinzesschen, begleitet von halsbrecherischen Grimassen und also zur hellen Freude der Kinder im Parkett, eine lockere Sprache mit "null Bock" auf Verlobung, jedenfalls so lange, bis es das bezaubernde, pardon: "echt coole" Bildnis des Prinzen in die Hände bekommt.
Dass dabei, wie Regisseur Dieter Freydank schon vor einiger Zeit versprochen hatte, der fantastische Kern des Grimmschen Märchens gewahrt bleibt, ist eine Leistung für sich. Am Ende kriegen sie sich, ganz konventionell: Es wird geheiratet bei Hofe. Das junge Publikum nimmt es zufrieden zur Kenntnis. Was ihr am besten gefallen hat? Na, das Ende, sagt Zuschauerin Tina, sechs Jahre alt. Was denn sonst?
Nächste Aufführungen am Mittwoch, 10 Uhr, und Sonnabend, 15 Uhr. Mehr Informationen unter Tel. 03491 / 400-151.