Diskussion um Stadtentwicklung in Wolfen Diskussion um Stadtentwicklung in Wolfen : Insellösung für Jugendclubs?

Wolfen - Ronald Hentschel macht seinem Unmut Luft. Nach wie vor muss der Roxy-Leiter um die Zukunft seines Jugendclubs in Wolfen-Nord bangen. Nachdem bereits im Frühjahr eine Variante öffentlich diskutiert wurde, die Angebote der bisherigen drei Jugendeinrichtungen im hinteren Teil des Ortsteils zu bündeln, hat dieser Vorschlag nun auch Einzug in den Entwurf des Stadtentwicklungskonzepts von Bitterfeld-Wolfen gefunden. „Das ist doch alles nur Stückwerk“, meint Hentschel während einer Diskussionsrunde über die angedachte Neuausrichtung im Wohnkomplex 4.4.
WBG und WGW ziehen sich zurück
Zum Hintergrund: Obwohl die Verwaltung von Bitterfeld-Wolfen darauf aufmerksam macht, dass der Landkreis der Träger der Jugendhilfe ist, steht in dem Entwurf bereits geschrieben, wie es hinter dem sogenannten „Filmband“ weitergehen könnte. „Da die Wohnungsunternehmen das Gebiet nicht weiter entwickeln und perspektivisch zurückbauen werden, befinden sich längerfristig drei Jugendeinrichtungen außerhalb der Wohnbebauung.“ Neben dem „Roxy“ sind das der Jugendclub 84 sowie der Jugendmigrationsdienst im Christophorushaus. Um im westlichen Teil von Wolfen-Nord auch ohne Wohnbebauung eine Jugendeinrichtung aufrechterhalten zu können, sei - auch wegen der Ver- und Entsorgung - eine „Konzentration von mehreren öffentlichen Einrichtungen zwingend notwendig“.
Varianten im Blick
In diesem Zusammenhang ist immer wieder von der „Insellösung“ die Rede, sprich: „Mit dem Christophorushaus, dem 84er und der sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindenden Turnhalle könnte ein Kinder-, Jugend- und Freizeitforum entstehen.“ Das Roxy würde bei dieser Variante keine Rolle mehr spielen. „Ich kann nur sagen, wir haben einen anderen Vorschlag gemacht. Der besagt, ein neues Jugendhaus am Skatepark zu bauen“, so Hentschel. Ob und wie realistisch dieser Vorstoß ist, wird in der Diskussion nicht erörtert. Dafür versucht sich Hentschel an einer Ursachenanalyse. Viele Dinge seien in der Vergangenheit schief gelaufen, meint der Jugendclubleiter und hält eine 1999 von der EWN - heute: Steg - veröffentlichte Broschüre in die Höhe. „Die Vision hieß damals: ,Von der Schlafsiedlung zum lebendigen Stadtteil’“, zitiert er den Titel des Heftchens. „Doch wenn ich mich umschaue, muss ich sagen: Wir haben hier etwas gründlich verschlafen“, so Hentschel. „Wenn ein ganzes Wohngebiet abgerissen wird, dann ist das aus meiner Sicht kein Teilrückbau mehr. Warum hat man den Menschen nicht mehr als Abriss geboten?“, fragt er Harald Rupprecht. Er hat früher die für den Rückbau verantwortliche Erneuerungsgesellschaft Wolfen-Nord (EWN) geleitet und ist heute Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg).
Wie die Stadtentwicklung des zukünftigen Wolfen aussehen könnte, erfahren Sie auf der nächsten Seite.
Ernüchternde Zahlen
„In Wolfen-Nord lebten zur Wendezeit knapp 35 000 Menschen“, erklärt Rupprecht. Nach dem Verlust der Arbeit seien viele von ihnen abgewandert. „Daher haben wir versucht, die Zahl zwischen 20 000 und 25 000 Einwohner zu stabilisieren.“ Das Ziel sei es gewesen, der Schrumpfung besser zu begegnen. Schaue man heute auf die Bevölkerungsentwicklung, so seien die Zahlen ernüchternd. „Mittlerweile leben weniger als 8 000 Menschen hier.“ Dies habe sich dann in den Leerstandsquoten auf dem Wohnungsmarkt widergespiegelt. „Daher mussten wir reagieren“, so Rupprecht und untermauert die Aussage mit Zahlen. Damals hätten die beiden großen Wohnungsunternehmen, also Wohnungsgenossenschaft (WGW) und Wohnungs- und Baugesellschaft (WBG) knapp 13 900 Wohnungen besessen. „Aber bei einem Leerstand von 40, in manchen Bereichen sogar 60 Prozent gab es aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht viele Möglichkeiten.“ Und: „Wenn 6 000 Wohnungen leer stehen, dann war kein Umbau von Neubaublöcken möglich. Um eine wirtschaftliche Entlastung zu erreichen, musste man sich von ganzen Wohnungsbeständen trennen.“ Zumal auf jedem Wohnungsquadratmeter eine Altschuld in Höhe von 70 Euro gelegen habe. „Rechnet man die durchschnittliche Wohnfläche von 60 Quadratmetern mit der Anzahl der Wohnungen zusammen, bekommt man eine Vorstellung, worüber wir sprechen.“
Dem Entwurf des Stadtentwicklungskonzepts ist unter anderem folgendes zu entnehmen: Während die WBG ihre Wohnungsbestände im Wohnkomplex 4.4. komplett aufgibt und keine städtischen Investitionen mehr im Wohngebiet getätigt werden, will die WGW ihre Bestände erheblich minimieren und ebenfalls nicht mehr investieren.
Bis zu 2 100 Wohneinheiten sollen in den nächsten Jahren abgerissen werden. Der hohe Bestand von Jugend- und Sporteinrichtungen sei daher mittelfristig nicht tragbar.
Soweit die Einschätzungen sowohl des Jugendclubleiters als auch des Steg-Geschäftsführers. Doch wie wird es in zehn Jahren in Wolfen-Nord aussehen? Während Hentschel meint, dass der Stadtteil - wenn nichts getan werden - dann das „Altersheim Deutschlands“ sei, geht Rupprecht davon aus, dass sich die Bevölkerungsentwicklung bis dahin stabilisiert habe und ein „modernisiertes Quartier“ die Heimat für alle Altersgruppen sei. (mz)