Die hohe Kunst des Stollenbackens
WOLFEN/MZ. - Aber auch wenn nicht gerade die beste Zeit für gute alte Handwerksbetriebe ist - Troitzschs sind zuversichtlich. Immerhin besteht der Betrieb schon seit 1934 - inzwischen in der dritten Generation. Seit 1995 führt Enkel Gunter Troitzsch das Geschäft zusammen mit seiner Frau Annett.
Die Weihnachtszeit ist für beide vor allem eins: viel Arbeit. Denn jetzt kommt es auf den Stollen an. Und der wird hier seit 74 Jahren noch genau so gemacht wie am ersten Tag - nach dem alten Rezept des Großvaters. Bereits Ende Oktober geht's damit los. So ein Backtag ist ein hartes Geschäft und will gut vorbereitet sein. Der Vorteil: Bäckerei und Wohnhaus gehören bei Familie Troitzsch zusammen. Um eins klingelt der Wecker, viertel zwei steht Gunter Troitzsch schon in der Backstube. Der Stollen wird allerdings erst als letztes gemacht. "Weil der Ofen dann nicht mehr so heiß sein darf", betont der 45-Jährige. Das ist zwischen fünf und sechs Uhr. Die Zutaten werden in einem großen Rührbottich ganz vorsichtig geknetet. Um keinen Einheitsbrei aus dem wertvollem Teig zu machen, rührt die kräftige Maschine immer nur zwei Minuten. Der Meister wirft einen kritischen Blick auf sein Werk: "Wir müssen die Ruhezeiten einhalten, damit sich der Teig auch entwickelt. Das ist entscheidend." Der kleine Betrieb der Familie Troitzsch bäckt allerdings nicht nur den eigenen Stollen, sondern auch den seiner Kunden. "Bei uns hat das Tradition", sagt er während er die Zutaten in den Teig gibt. Viele Bäckereien bieten diesen Dienst nicht mehr an. Der Aufwand ist zu groß und nur noch wenige Kunden bereiten selbst ihren Stollenteig zu.
Troitzsch schaut auf die Uhr. Das richtige Zeitgefühl ist entscheidend. Nachdem der Teig ein letztes Mal geruht hat, reicht ein Wink des Meisters und sofort hievt ein Lehrling die schwere Masse aus dem eisernen Bottich. Danach wird die Masse gewogen und in Akkordarbeit zu Laiben geformt. Zwei Lehrlinge und ein Geselle arbeiten mit dem Chef Hand in Hand.
Der Stollen ist neben selbst gebackenen Plätzchen und Früchtebrot das beliebteste Gebäck bei den Troitzsch-Kunden. Und natürlich gibt es ein streng behütetes Rezept für den beliebten Weihnachtskuchen. "Ja, wir haben auch ein richtig geheimes Rezeptbuch, das noch von meinem Großvater stammt und über die Jahre immer dicker geworden ist", so der Bäckermeister. Inzwischen ist auch Ehefrau Annett in die Backstube gekommen. Bei dem Wort "Rezeptbuch" wird sie hellhörig und meint, dass es manchmal schon eine Kunst sei, die Kunden mit neuen Kreationen zu locken. Auch der Meister kennt das. Doch weiß er, dass er mit der Zeit gehen muss.
Sohn Benjamin will das Traditionshandwerk fortführen und paukt gerade für seinen Meister an einer Dresdner Bäckerfachschule. Die Eltern sind stolz, dass sich junge Leute wie er für einen solchen Beruf interessieren: "Wir sind natürlich glücklich, dass unser Traditionsbetrieb Bestand haben wird."
Die geformten Stollenlaibe sind inzwischen wieder ein wenig aufgegangen. Jetzt müssen sie fix in den Ofen. Wieder geht alles rasend schnell. 43 von ihnen sind innerhalb weniger Minuten verschwunden. Ob denn der angehende Bäcker Benjamin auch einen Stollen zur Dresdner Konkurrenz mitnehmen wird? "Vielleicht, aber wir brauchen uns mit unserem Stollen nicht zu verstecken", fügt der Meister hinzu. Inzwischen ist es acht Uhr. Der Chef und sein Team gönnen sich einen Frühstückskaffee. Für die Frau des Hauses indes geht die Arbeit in der Kühlkammer weiter: "Ich verpacke die Stollen vom letzten Schwung, damit für die Neuen wieder Platz ist."
Nach 55 Minuten klingelt die Zeituhr am Ofen: Die Stollen sind fertig. Troitzsch streicht mit der flachen Hand darüber - verbrannten Rosinen fallen ab: "Das muss gemacht werden, sonst schmeckt's bitter." Die warmen Stollen werden nun gebuttert und gezuckert. Und schon sind sie zum Vernaschen schön. In einer kühlen Kammer werden sie noch zwei Tage gelagert, bis sie dann schließlich eingetütet und verkauft werden können.