Diakonieverein Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainichen Diakonieverein Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainichen: Bei der Inklusion hakt es noch

Thalheim - Fingerspitzengefühl ist von Christian Kowacz gefragt. Er sitzt hinter der Nähmaschine und fertigt Filter. Für Orwo. Der Bereich, in dem er arbeitet, gehört zu den Wolfener Werkstätten des Diakonievereins Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainichen. Seit Sommer des vergangenen Jahres befindet sich die Näherei im ehemaligen Hauptsitz von Q-Cells. Gestern hat Gleichstellungsministerin Angela Kolb-Janssen (SPD) die Einrichtung in Thalheim besucht.
Vergrößerung der Werkstätten
Lucie Zschiegner, kaufmännischer Vorstand des Vereins, spricht von einem großen Glück, dass sich die Diakonie in einen Teil des Gebäudes des Solarzellenherstellers in Thalheim einmieten, sich der Werkstättenbereich erweitern konnte. Das war bitter nötig, denn im Wolfener Lützowweg und in der Thalheimer Straße ist es allmählich zu eng geworden. Die rund 300 Plätze reichten nicht mehr. Viele Neue waren in der vergangenen Zeit zur Diakonie gekommen - behinderte Menschen, die zu Hause waren oder die aus Bildungsmaßnahmen kamen.
Auch das Küchenteam hat alle Hände voll zu tun
So sind der Elektro-, der Näh- und der Verpackungsbereich in die Guardianstraße umgezogen. Auch ein Küchenteam, das eigens für hier gebildet wurde, hat mit der Versorgung von 60 Behinderten, sechs Betreuern und einigen Mitarbeitern umliegender Unternehmen inzwischen alle Hände voll zu tun. Zudem hat auch der Sozialbegleitende Dienst hier ein Büro.
Elke Plathe und Jürgen Gehricke wissen, wie der Hase läuft. Beide gehören zu denen, die seit 25 Jahren in den Werkstätten arbeiten. Während Elke Teile für Bilderrahmen fertigt, hat Jürgen als Bote die Aufgabe, die Verbindung zur Hauptwerkstatt im Lützowweg zu halten. Und Jörg Warmuth stöpselt mit viel Geduld sogenannte Schrumpfschläuche an Spezialröhren. Die hat das Unternehmen Lanxess in Auftrag gegeben.
Warum es bei der Inklusion immer noch hakt, lesen Sie auf Seite 2.
Seit Jahr und Tag erledigt der Diakonieverein Lohnarbeit für verschiedene Firmen nicht nur der Region. Die allermeisten Aufträge werden von den behinderten Menschen in den Werkstätten erledigt, aber einige wenige von ihnen haben durchaus auch ihren Arbeitsplatz in einem Unternehmen. „Das ist ein Problem, Arbeit für Schwächere zu finden“, sagt Lucie Zschiegner und beschreibt, wie zäh sich manchmal die Preisverhandlungen für Lohnarbeit hinziehen. Inklusion hin oder her - viele seien noch nicht bereit, behinderten Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. So sei es durchaus passiert, dass Firmen die Arbeit abgezogen haben oder dass sie viel zu wenig Geld hätten zahlen wollen, sagt Lucie Zschiegner.
Der Stärkere trägt den Schwächeren mit
Und das Argument „sie schaffen das nicht“ sei das K.o.-Kriterium schlechthin. „Es ist zu wünschen, dass mehr behinderte Menschen im Arbeitsmarkt integriert werden und am Arbeitsleben teilhaben können“, erklärt die Gleichstellungsministerin. „Da sind die Arbeitgeber in der Verantwortung. Aber viele zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe, als eine behinderte Arbeitskraft zu beschäftigen.“ Zschiegner hofft auf die Kraft des Bundesteilhabegesetzes, das 2017 verabschiedet werden soll.
Bei den Leuten in den Werkstätten indes ist das kein Thema. Hier, wo der Stärkere den Schwächeren mitträgt, wo die Welt in Maßen geschützt ist, macht ihnen das Arbeiten sichtbar Freude. In der Küche haben sie heute Nudeln gekocht und Quarkkeulchen gebacken. In der Näherei stellen sie Kofferraum-Gurte für BMW her und Andrea Loppnow zeigt stolz, wie viele Lauflerngurte für Kleinkinder sie hergestellt hat. (mz)
